Es gibt ja zur Zeit gewisse Leute, die sich als “Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes” bezeichnen und offenbar furchtbare Angst vor Zuwanderung haben. Das Schöne an der Meinungsfreiheit ist, dass man diese Meinung haben kann. Oder auch nicht.
So rein statistisch ist der Standpunkt ein wenig merkwürdig, drei Viertel der neu Zugewanderten stammen aus EU-Staaten, die meisten aus Polen, Ungarn, Rumänien und Bulgarien. Jetzt nicht so die klassischen muslimischen Länder. Die Einwanderung aus der Türkei ging sogar um 1,6% zurück.
Viele Menschen verlassen zur Zeit aus vielerlei Gründen ihr Land. Natürlich auch aus wirtschaftlichen. Afrikanern wird Europa als das gelobte Land angepriesen; sie nehmen große Strapazen auf sich, zahlen Schleppern Unsummen und nicht wenige ersaufen bitterlich im Mittelmeer.
Diese Leute sind wie wir. Wenn wir in die Vergangenheit blicken, haben viele Millionen Menschen Deutschland verlassen; die meisten zogen ins gelobte Land, das Land der Freien: Amerika. Noch heute nennen 50 Millionen Menschen in den Vereinigten Staaten “German” als Abstammung. Die Deutschamerikaner sind die größte Bevölkerungsgruppe der USA.
Viele flohen vor religiöser Verfolgung, andere kehrten dem Land aus wirtschaftlichen Gründen den Rücken. Und manchmal auch beides. Und nicht wenige krepierten auf der Reise. Im 19. Jahrhundert sprach man von schwimmenden Särgen, die die Einwanderer nach Amerika brachten. Zusätzlich schleppten sie auch oft Krankheiten ein.
Die Massenauswanderung der Pfälzer 1709 mag als ein Beispiel dienen. Nach einem der kältesten Winter des Jahrtausends, Missernte, der spanische Erbfolgekrieg war im Gange, erwarteten sich die Protestanten größere religiöse Toleranz in der Fremde.
Großbritannien und Nordamerika waren das Hauptziel – das gelobte Land und offene Arme fanden die wenigsten. In Großbritannien schickte man die Katholiken wieder nach Hause, die man nicht aufnehmen konnte/wollte; mit dem Einwanderungsstrom an sich war man sowieso überfordert. Von den 3073 Menschen, die nach Irland geschickt wurden, blieben nur 1200, der Rest fand dort keine Heimat.
Die Kolonie in Carolina, wo sich 100 Familien ansiedelten, zeigte sich dem dort lebenden Volk der Tuscarora gegenüber von “ihrer besten Seite”. Abgesehen von Betrügereien begannen die Siedler, die Frauen und Kinder der Ethnie zu entführen und in die Sklaverei zu verkaufen, eine seinerzeit recht gängige Praxis. Um nicht zu sehr abzuschweifen: mehr findet sich hier.
Wir konnten keine Todesraten bei Schiffsreisen um 1700 finden, aber im mittleren 19. Jahrhundert war wohl eine Todesrate von zwei bis zehn Prozent auf Einwandererschiffen “normal”.
Insgesamt war Nordamerika ein Schmelztiegel der Glaubensrichtungen: Lutheraner, Reformierte, Amische, Mennoniten, Protestanten … Flüchtlinge Europas, Flüchtlinge Deutschlands.
Viele der Verfolgten ließen sich in Pennsylvania nieder, das eine besonders liberale Verfassung besaß. Aber die Integration funktionierte nicht besonders: Speziell die Deutschen weigerten sich, ihre Kinder in englischsprachige Schulen zu schicken; Benjamin Franklin mochte sie wohl nicht besonders und bezeichnete sie als “religiöse Eiferer”. Die Deutschen waren weder liberal noch von demokratischem Gedankengut geprägt.
Ab den 1750ern wurden Zwangsehen, ein Verbot der deutschsprachigen Presse und der deutschen Sprache gefordert, aber nicht umgesetzt. Gruppen wie die Amische sind bis heute nicht “integriert” und untereinander sprechen sie immer noch vorwiegend Pennsylvaniadeutsch.
Die Deutschen waren wie alle Einwander vor allem eines: Menschen. Im Guten und im Schlechten. Wir haben uns hier nur zwei Beispiele herausgepickt, bei denen die Einwanderer nicht unbedingt glänzten. Als drittes Beispiel, vielleicht als Kontrast mögen die Einwanderer in Texas dienen. Der Vertrag, der mit den Einwohnern, den Penateka-Comanche geschlossen wurde, ist eine Seltenheit, vielleicht sogar ein Einzelstück. Er wurde nämlich nie gebrochen.
Der sogenannte Meusebach–Comanche Vertrag wurde 1847 von Otfried Hans von Meusebach mit den Comanche geschlossen. John O. Meusebach, wie er sich in Amerika nannte, El Sol Colorado (Die rote Sonne), wie er genannt wurde, war wohl ein außergewöhnlicher Mann:
„Wenn mein Volk für eine Zeitlang mit Euch gelebt hat und wenn wir uns gegenseitig besser kennen, dann mag es vorkommen, dass einige heiraten möchten. Bald werden unsere Krieger Eure Sprache lernen. Wenn sie dann wünschen, ein Mädchen aus Eurem Stamm zu heiraten, sehe ich darin überhaupt kein Hindernis, und unsere Völker werden so viel bessere Freunde.
Wenn wir Einwanderung heute betrachten, Einwanderung in Deutschland, dann sollten wir nicht vergessen, dass Deutschland einmal in einer ähnlichen Situation war. Deutsche sind ausgewandert, weil in der Heimat Krieg herrschte, weil ihre Religion nicht passte, weil sie Hunger leiden mussten. Für jeden Grund, der heute genannt wird, wird sich ein historisches Pendant finden lassen.
Die Integration im neuen Land war dann ein schwieriges Unterfangen, bis heute werden die deutschen Traditionen von den Alten hochgehalten, die es bedauern, dass die Jungen immer weniger Interesse daran zeigen. Trotz allem – es hat natürlich gedauert – haben sich die Deutschen integriert. Und natürlich auch das neue Land, die neue Gesellschaft mitgeformt.
Wenn wir also heute über Einwanderung reden, dann sollten wir unsere eigene Geschichte nicht vergessen.