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Religiöse Diskriminierung

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Seit einiger Zeit läuft eine Petition gegen den ärgerlichen Blasphemieparagraphen, der ja nun wirklich abgeschafft gehört. Laut §166 des Strafgesetzbuches ist die Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen unter Strafe gestellt.

Der Paragraph ist peinlich und es wirkt irgendwie scheinheilig, wenn der Bundestag die Freilassung von Raif Badawi fordert.

Zugegeben: man kann jetzt natürlich darüber streiten, wie viel dieser Paragraph heutzutage noch Wert ist, wenn man die katholische Kirche Kinderfickersekte nennen darf. Der Blog Schockwellenreiter, der dieses Urteil erstritt, berichtet seitdem auch genüsslich regelmäßig Neues von der Kinderfickersekte.

Der Paragraph mag hierzulande eher ein Papiertiger sein, ein Anachronismus bleibt er trotzdem. Viel ärgerlicher finden wir jedoch einen anderen Paragraphen bzw. die Konsequenzen daraus. Wir beziehen uns hier auf Paragraph 3 des Artikels 137 der Weimarer Verfassung, der als Artikel 140 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland weiterhin gültig ist.

Der Klu-Klux-Klan stellt auch keine Farbigen ein (zumindest keine, die ihre Kapuze nicht tragen) (Quelle

Der Klu-Klux-Klan stellt auch keine Farbigen ein (zumindest keine, die ihre Kapuze nicht tragen) (Quelle Wikipedia)

Im Grunde geht es darum, dass eine Kirche ihre Angestellten zwingen kann, Mitglieder einer/ihrer Religionsgemeinschaft zu sein. Für Kirchen und kirchennahe Organisationen gilt ein gesondertes Arbeitsrecht.

Angeregt wurde dieser Blog übrigens durch einen aktuellen Artikel in der Süddeutschen Darf mich der Arbeitgeber zum Kircheneintritt zwingen?.

Eine Krankenschwester stellt diese Frage, nachdem ihr mitgeteilt wurde, dass sie bis Ende der Probezeit in die Kirche eintreten müsse oder gekündigt werde. Die SZ schlüsselt die rechtliche Sachlage dann im Detail auf, kommt aber schließlich zum Fazit:

Sehen Sie sich schnellstmöglich nach einer neuen Arbeitsstätte um, bei der Ihre Konfession keine Rolle spielt. Dazu können Sie notfalls auch noch die gesamte Probezeit nutzen.

Das Thema wurde bereits vor Jahren bei uns im Forum diskutiert, wo jemand die Frage stellte, ob er als Atheist aus der Kirche austreten kann, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. Ein Kommentar bringt das Problem auf den Punkt:

Das Problem ist m.M.n. einfach, dass die beiden größten privaten Arbeitgeber in Deutschland – beide christlich – das selbe Feld beackern: den sozialen Bereich. Da hat der Hilfeempfänger in der Praxis oft gar nicht die Möglichkeit, die benötigte Unterstützung von einem Träger erbringen zu lassen, der zum eigenen (säkulären) Weltbild passt. Für nicht-christliches Personal bleiben kaum gute Jobs und man muss einfach mal feststellen, dass im sozialen Bereich der gewaltige Marktanteil der Christen, den gesellschaftlichen Realitäten nicht (mehr) gerecht werden kann. Aber was will man da machen? Die Struktur der Wohlfahrtspflege – mit ihrem deutlichen Übergewicht an explizit christlicher Wohlfahrtspflege – in Dtl. ist historisch bedingt und sieht inzwischen so aus, wie sie aussieht: christlich dominiert aber fast komplett aus öffentlichen Mitteln finanziert.

Das Beispiel der Dame, die an die SZ schrieb, ist auch kein Einzelschicksal. 2008 entschied das Landesarbeitsgericht (LAG) Rheinland-Pfalz, dass ein kirchliches Altenheim eine Pflegerin entlassen darf, wenn sie aus der Kirche austritt. 2011 kündigte ein katholischen Krankenhaus in Düsseldorf einem Chefarzt, der sich von seiner Frau getrennt hatte. Das Verfassungsgericht bestätigte inzwischen, dass die Kündigung rechtens war.

2012 kündigte der kirchliche Träger einer Kindergärtnerin, weil sie sich von ihrem Mann getrennt hatte. In dem Fall jedoch mit Konsequenzen. Die Kündigung war zwar rechtens, aber die Eltern und die Stadt waren mit dem Vorgehen nicht einverstanden und setzten statt der Kindergärtnerin kurzerhand die Kirche vor die Tür.

Das waren jetzt nur ein paar Suchmaschinen-Treffer, wenn man sucht, findet man noch mehr. Und das ist im Grunde eine Frechheit.

Zu den Kindergärten muss man übrigens noch eine Kleinigkeit sagen: Der staatliche Anteil an der Finanzierung konfessioneller Kindertagesstätten beträgt ca. 75% der laufenden Kosten, 15% sind Elternbeiträge und rund 10% tragen die Kirchen bei. Genaueres dazu findet man bei kirchensteuer.de.

Wir fordern daher: Nieder mit der religiösen Diskriminierung! Gleiches Recht für alle Arbeitnehmer und alle Arbeitgeber.


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