Bei Plasbergs “Hart aber Fair” wurde am Montag von den Impfgegnern im Prinzip die Behauptung aufgestellt, dass die Masernimpfung nicht wirksam sei. Als Beispiel gaben Frau Bajic und Frau Wedel an, China habe sogar eine 99%ige Durchimpfungsrate und trotzdem gebe es ständig Masernepidemien. Weiters gebe es ca. 15% Impfversager.
Bevor wir uns den Fakten zu diesen Zahlen und China zuwenden: Solche Behauptungen leben davon, dass in einer Talkshow solche aus dem Hut gezauberten Zahlen für die Diskutanten schwer zu prüfen oder gar zu widerlegen sind; auch der Zuseher kann den Wahrheitsgehalt kaum abschätzen.
China ist weit weg; selbst wenn man China schon einmal besucht hat: Wer weiß schon, wie viele Menschen dort geimpft sind und wie viele Masernfälle es dort gibt? Genau, keiner. So adhoc sind solche Behauptungen dann auch nicht widerlegbar und bleiben damit im Raum stehen, scheinbar wahr.
Man kann Dr. Hirschhausen nicht verdenken, dass er das Ganze als “Bullshit hoch 10″ bezeichnet. Er wird zwar kaum Zahlen aus China gekannt haben, aber dass die Behauptungen so nicht stimmen können, liegt fast auf der Hand. Der Nachweis ist wie so oft mühsam zu führen; wer sich die Details sparen möchte, kann gleich nach unten zum hübschen Diagramm scrollen.
15% Impfversager
Aber zuerst schnell zu den 15% Impfversagern: Wir verweisen hier einfach mal auf ein Review zum Thema. Bei zwei Impfungen, wie bei uns vorgeschrieben, beträgt die Wirksamkeit mindestens 98%, bei einer Impfung immerhin 95%. Man muss hier wohl nicht mehr dazu sagen. Außer vielleicht noch einmal betonen, dass zwei Impfungen aus gutem Grund empfohlen werden.
Die Provinz Zhejiang (und nicht ganz China)
Nur, wie sieht es in China tatsächlich aus und woher kommt die Behauptung? Das Gerücht, dass China 99% Durchimpfungsrate hat und sich trotzdem vor Masern nicht mehr retten kann, geistert schon einige Monate durchs Netz. Quelle ist vermutlich der Blog Greenmedinfo. Wir finden zumindest nichts Älteres.
Dort wird dann aus dem Kopfteil einer Studie zitiert:
“The reported coverage of the measles-rubella (MR) or measles-mumps-rubella (MMR) vaccine is greater than 99.0% in Zhejiang province. However, the incidence of measles, mumps, and rubella remains high.”
Man beachte: dieser Satz bezieht sich nur auf die Provinz Zhejiang, eine der reichsten Regionen Chinas. Außerdem ist er, wenn man die Studie liest, nicht ganz nachvollziehbar.
Die Studie ist sehr interessant; sie erklärt auch kurz die historische Impfpolitik. Wichtig ist: erst 2006 wurde entschieden, sich ernsthaft der Ausrottung der Masern zu widmen. Dazu weiter unten mehr.
Anzumerken ist, dass in China mehrere verschiedene, auch Einzelimpfstoffe genutzt wurden, nicht wie bei uns “einfach MMR”. Dadurch ergeben sich unterschiedliche Impfraten für Masern, Mumps und Rubella. Da das Thema Masern ist, bleiben wir mal dabei. Wenn es jemand nachlesen will: die Studie ist ja verlinkt.
Und bitte, tun Sie das! Überwinden Sie die gedankliche Hürde, “Ich kenne mich damit ja nicht aus”, lesen Sie die Quellen nach. Es ist weniger schwer als man vielleicht glaubt.
Konzentriert man sich auf Masern, stellt man schnell fest, dass nur 85% der Kinder von 2-4 Jahren und 81% der Kinder von 5-9 Jahren zwei Mal gegen die Masern geimpft wurden. Bei einmal Geimpften sieht es besser aus, aber selbst dort werden die 99% knapp nicht erreicht. Aber man weiß längst: einmal Masern impfen reicht nicht.
Zum Vergleich Deutschland, laut Ärzteblatt:
Waren im Jahr 2001 nur 25,9 Prozent der einzuschulenden Kinder zweimal gegen Masern geimpft, sind es mittlerweile (2011) 92,1 Prozent.
Man sieht an diesen Zahlen leicht:
Die behauptete 99% Impfrate gegen Masern wird damit nicht einmal bei Kleinkindern erreicht. Geschweige denn bei Erwachsenen.
Die Studie zieht dann folgende Conclusio:
First, the current MMR program should be modified to a two-dose schedule, with one dose at 8 months and a second dose at 18–24 months. Second, more efforts should be made to ensure that 8-month-old infants receive timely MCV. Third, MR speed-up campaigns that focus on older adolescents and young adults, particularly females, should be introduced.
Schnell zusammengefasst:
1) Das aktuelle Impfprogramm sollte auf eine Dosis mit 8 Monaten und eine zweite von 18-24 Monaten angepasst werden.
2) Es sollte verstärkt darauf geachtet werden, dass 8 Monate alte Kinder pünktlich geimpft werden
3) Impfaktionen für Erwachsene gewisser Altersgruppen sollten eingeführt werden.
So, damit wäre jetzt im Grunde diese Studie abgehakt – wie sieht es eigentlich in China aus?
China
China hat 2005/2006 entschieden, die Masern auszurotten. Damit ging eine Verstärkung der Maßnahmen einher, der Erfolg wird in einer Studie analysiert. Aufgrund der Maßnahmen konnte die Impfrate (1x geimpft) unter Kleinkindern von 80,4% im Jahr 2000 auf 91,1% im Jahr 2009 erhöht werden. Bei zweifacher Impfung erreichte man 2009 auch nur 84,3 Prozent. 2010 führte China eine großflächige Impfaktion unter Kindern durch und gab an, 97,52% der bis zu 4 Jahre alten Kinder erreicht zu haben.
Die Wirksamkeit der Maßnahmen lässt sich anhand einer Grafik leicht demonstrieren:
Das Aufflackern der Masern 2013 erfolgte vor allem unter Wanderarbeitern, die laut einer Studie aus Beijing am stärksten betroffen waren und bei Personen, deren Impfstatus unbekannt ist. 2014 stiegen die Fallzahlen unter Wanderarbeitern und vor allem auch deren Kindern weiter an.
China wird sich hier etwas überlegen müssen, wie unter Erwachsenen die Impfraten verbessert werden können. Aber das ist Chinas Problem, uns sollte der deutsche Raum mit unseren Waldorfschulen und Impfgegnern reichen
Eines ist klar: Mit “Bullshit hoch 10″ wird man die Masern nirgendwo besiegen.