Quantcast
Channel: Psiram Blog
Viewing all articles
Browse latest Browse all 588

Glyphosat, die BOKU und der Regenwurm

$
0
0
Kein von Monsanto gezüchtetes Monster, sondern ein Riesenregenwurm aus Ecuador

Kein durch Glyphosat mutiertes Monster, sondern ein Riesenregenwurm aus Ecuador

Aktuell tobt geradezu eine mediale Schlacht um eine einzelne Substanz, die als Symbol für alles Widernatürliche und Schädliche herhalten muss: das Glyphosat.

Ein Molekül als Bösewicht

Das Unkrautmittel (Totalherbizid), das einst von Monsanto als Roundup auf den Markt gebracht wurde, heute aber aufgrund ausgelaufener Patente meist von anderen Herstellern und Vertreibern vermarktet wird, muss EU-weit bis Ende des Jahres neu zugelassen werden. Kann diese Zulassung verhindert werden, so wäre das ein Sieg für alle Ideologen, die eine Welt ohne künstliche Substanzen wollen und vor allem für alle Gentechnikgegner, ist das Glyphosat doch auch ein Sinnbild einer modernen Pflanzenbaumethode.

Einigen Nutzpflanzen wurde ein Resistenz-Gen eingebaut, so dass diese eine Herbizidbehandlung überleben, während störende Unkräuter vom Acker verschwinden. Prinzipiell sind gentechnisch modifizierte Pflanzen in der EU zwar zugelassen, werden aber mit sehr wenigen Ausnahmen nicht angebaut. Glyphosatresistente Pflanzen sind momentan in der EU nicht zugelassen, mehrere Antragsverfahren laufen schon seit Jahren. Nichts desto trotz wird auch hier Glyphosat zur Unkrautbekämpfung verwendet; es gilt als sehr wirksam, für Nichtzielorganismen unschädlich, verlagert sich im Boden kaum (Richtung Grund- und Oberflächenwasser) und ist gut biologisch abbaubar.

Ein Verbot von Glyphosat würde demnach die konventionelle Landwirtschaft auch hierzulande in Schwierigkeiten bringen. Es gibt zwar Alternativen zu Glyphosat, diese haben aber alle Nachteile, was Kosten, Effizienz und Umweltverträglichkeit betrifft. Käme ein Verbot, so wäre dies nicht nur ein Sieg für Ökoaktivisten, Ökoparteien und Ökofunktionäre, es wäre vor allem ein Sieg der Unvernunft, der falschen Tatsachenbehauptungen und der Panikmache. Erst vor kurzem veröffentlichten die Grünen eine eigens in Auftrag gegebene Studie, der zufolge sich Glyphosat in Urin und in Muttermilch einer kleinen Gruppe Parteiangehöriger finden ließ. Abgesehen von den extrem geringen Mengen, die man fand, und der fehlerhaften Methodik, die stark an den Ergebnissen zweifeln lässt, bleibt aufgrund der medialen Inszenierung ein bitterer Nachgeschmack. Auch die kürzliche Einstufung von Glyphosat durch das IARC (einer WHO-Organsation, die die krebserregende Wirkung allerlei Substanzen und Tätigkeiten untersucht) als wahrscheinlich krebserregend kommt vielen Aktivisten entgegen; auch wenn diese Einstufung kaum taugt, um ein Glyphosatverbot zu rechtfertigen.

Studien sollen Schädlichkeit belegen

In die Reihe der schnell noch auf den Markt der Verunsicherung geworfenen Argumentationshilfen, die ein Verbot von Glyphosat fördern sollen, gliedert sich eine – ähm – Studie der Universität für Bodenkultur Wien (kurz BOKU) ein. Die BOKU ist bereits mehrfach durch pseudowissenschaftliche Forschung mit einem Hang zur Esoterik aufgefallen. Dabei wurde die neue Studie sogar im Verlag „Nature Publishing Group“ veröffentlicht. Allerdings nicht in Nature selbst – einer der renommiertesten wissenschaftlichen Zeitschriften überhaupt-, sondern in einem sog. Open Access-Journal, in dem die Autoren für die Veröffentlichung zahlen. Die Studie will belegen, dass Glyphosat zum einen das Bodenleben schädige, zum anderen für eine erhöhte Nährstoffauswaschung in die Gewässer verantwortlich sei.

Um die Auswirkungen von Glyphosat auf das Bodenökosystem zu untersuchen, hat man im Laborversuch zwei Arten von Regenwürmern in bepflanzte Kübel verbracht, die Hälfte der Kübel (Gesamtzahl: 36) nach einigen Wochen mit glyphosathaltigen Unkrautvernichtern behandelt und sich dann die Auswirkungen auf sowohl die Regenwürmer als auch auf die Bodennährstoffe angesehen. Um ein Maß für die Aktivität der Regenwürmer zu erhalten, hat man täglich die oberirdischen Ausscheidungshäufchen, die Regenwürmer produzieren, gezählt und gewogen. Sehen wir uns zuerst das Ergebnis mit den Regenwürmern an.

Nachdem man an zwei aufeinanderfolgenden Tagen die eine Hälfte der Kübel mit dem Unkrautmittel (in unterschiedlichen Formulierungen) behandelt hatte, zeigten sich im Vergleich schon nach mehreren Tagen deutliche Unterschiede zwischen den Behandlungen. Dies aber nur bei der einen Art (Lumbricus terrestris), die andere Art (Aporrectodea caliginosa) zeigte sich unbeeindruckt. Bei den mit Unkrautmitteln behandelten Kübeln stieg nach kurzer Zeit erst die Menge der Kothaufen an (was mit dem nun reichlich vorhandenen Nahrungsangebot aufgrund absterbender Pflanzen begründet wird), um dann signifikant geringer zu werden. Der Unterschied bezieht sich immer auf die Kübel, die nicht mit einem Herbizid behandelt wurde und die demnach weiterhin eine intakte Vegetationsbedeckung aufwiesen. Die primäre Wirkung des Herbizides war erst einmal, die Vegetation der behandelten Kübel zu eliminieren, was natürlich eine Menge weiterer Effekte zu Folge hat.

Die Autoren der Studie folgern voreilig und ohne genaue Prüfung, dass Glyphosat an der abnehmenden Aktivität der Regenwürmer schuld sei. Sie haben aber kein reines Glyphosat, sondern eine bzw. zwei verschiedene anwendungsfertige Lösungen verwendet, die noch eine Reihe weiterer (Hilfs-)Stoffe enthalten. Dazu zählen in der Regel Benetzungs- und Durchdringungsmittelmittel, damit das Glyphosat besser von den Pflanzenorganen aufgenommen werden kann. Diese Stoffe können ebenfalls einen Einfluss auf das Verhalten der Tiere genommen haben. Um das zu kontrollieren, hätte man eine Blindlösung  mit den Hilfsstoffen, aber ohne Glyphosat zur Anwendung bringen müssen. Leider ist das nicht die einzige unwissenschaftliche Vorgehensweise.

Da die mit Herbizid behandelten Kübel nach einiger Zeit über keine aktive Vegetation mehr verfügten (was genau mit den abgestorbenen Pflanzen passiert ist, erfahren wir nicht), sind sie auch nicht mehr mit den Kontrollkübeln (ohne Behandlung) vergleichbar. Man hätte auch in den Vergleichskübeln die Vegetation (inkl. Wurzeln) abtöten müssen, was sicherlich nicht trivial ist, aber für eine Vergleichbarkeit unabdinglich. Das veränderte Verhalten der Regenwürmer könnte man viel plausibler mit einer nicht mehr vorhandenen Vegetationsbedeckung – oder Ähnlichem – erklären. Vielleicht gefällt es Regenwürmern der Art Lumbricus terrestris einfach nicht, unter einer lichten Fläche zu hausen. Es könnte ein Signal sein, den Standort zu wechseln, da er nicht mehr attraktiv ist. Die Würmer in einen kleinen Kübel von nur 40 cm Tiefe zu sperren und ihnen somit ein Ausweichen zu verunmöglichen, grenzt schon an Tierquälerei. Das Übel ist vielleicht vielmehr der Forscher selbst als das böse Glyphosat.

Einen weiteren Effekt hatte das Verschwinden der Vegetation in den Kübeln, den die Forscher auch mit Daten belegen: durch die fehlende Transpiration der Pflanzen wurde der Boden deutlich feuchter, da man alle Kübel während der Untersuchungsdauer mit einer konstanten Bewässerungsrate mit Wasser versorgte. Das könnte ein weiterer Stressfaktor für die Würmer sein. Auch hier gilt: um diesen Faktor als Ursache für ein verändertes Verhalten der Würmer auszuschließen, hätte man eine entsprechende Kontrolle machen, d.h. man hätte die Bewässerung an die neue Verdunstungssituation anpassen müssen. Ob man nicht in der Lage war und ist, wissenschaftlich genau zu arbeiten oder ob man gar nicht daran interessiert war, eine objektive, ergebnisoffene Untersuchung durchzuführen, darüber kann man spekulieren. Die Offensichtlichkeit der methodischen Fehler lässt Letzteres befürchten.

Noch ein paar Bemerkungen zu den Nährstoffen, die sich angeblich durch die Glyphosatbehandlung anreichern. Es wird behauptet, aufgrund des Glyphosateinsatzes reicherten sich bestimmte Nährstoffe (Nitrat und Phosphat) stark im Boden an und könnten dann in die Gewässer gelangen, wo sie unerwünschte Folgen verursachten. Auch hier fehlen wieder wichtige Kontrollen. Ob Nährstoffe eventuell aus dem Präparat stammen, wird gar nicht überprüft, obwohl das naheliegt. Es wird so getan, als ob Glyphosat die einzige Ursache für beobachtete Effekte wäre. Dabei könnte gerade Phosphat aus dem Glyphosat stammen, wenn es mikrobiologisch abgebaut wird. Das Gleiche gilt für das Nitrat, auch wenn es kein direktes Abbauprodukt ist. Es wird argumentiert, die Nährstoffe werden angereichert, weil die abgestorbenen Pflanzen diese nicht mehr aufnehmen können. Eine eigentlich triviale Erklärung, die aber wieder aussagt, dass es die fehlende Vegetationsbedeckung ist, die die beobachteten Phänomene erklärt, nicht das Glyphosat selbst. Es könnte auch an der Methodik selbst liegen, warum man solch hohe Nährstoffwerte findet. Für die Nährstoffanalyse hat man Ionenaustauscher im Boden vergraben, die quasi über den Beobachtungszeitraum die Nährstoffe sammeln. Ist der Boden aber feuchter, so können sich im Boden Nährstoffe besser verlagern und an den Ionentauscher binden. All das hätte man testen können. Es ließen sich noch weitere methodische und logische Fehler nennen, aber lassen wir das. Dass die Studie nicht taugt, um die Aussagen zu belegen, die man gerne belegt haben wollte, sollte auch so schon klar geworden sein.

An der Realität gescheitert

Die in der Studie gemachten Annahmen und Schlussfolgerungen gehen an der Realität der landwirtschaftlichen Praxis völlig vorbei. Sinn eines Herbizides ist es eben, unerwünschte Begleitvegetation abzutöten. Dies hat mit konventioneller vs ökologischer Landwirtschaft nichts zu tun; auch in der ökologischen Landwirtschaft muss Unkraut bekämpft werden. Will man den Einsatz eines Herbizides bewerten, muss man immer auch nach den Alternativen und deren Nebenwirkungen fragen. Verwendet man keine Herbizide, so geschieht die Unkrautbekämpfung auf mechanische Art: durch Umpflügen. Das Pflügen vernichtet (großteils) das im Wachstum befindliche Unkraut, zerstört aber auch das Bodengefüge. Durch die Lockerung wird der obere Boden besser durchlüftet, es kommt zu einer verstärkten Nährstofffreisetzung durch die Mineralisierung der abgestorbenen Pflanzenreste. Der Boden wird angreifbarer für Abtrag (Erosion) durch Wind und Oberflächenabspülung.

All dies muss bei einer Bewertung einer landwirtschaftlichen Praxis berücksichtigt werden. Selbst für die Regenwürmer und andere Bodenlebewesen ist die Alternative „Pflügen“ ungünstig. Pfluglose Unkrautbekämpfung – bei der Glyphosat eine wichtige Rolle spielt – schont den Boden und die darin lebenden Tiere. Ist die Unkrautbekämpfung nur unzureichend – wie oft im Biolandbau – können sich gegebenenfalls giftige Unkräuter auch in der Ernte finden, die unzweifelhaft wesentlich schädlichere Substanzen als das Glyphosat enthalten können. Dazu noch das Thema „Überdüngung durch Nährstoffaustrag“ dem Glyphosat anlasten zu wollen, ist beinahe schon irrwitzig. Die Nitratproblematik ist eine ganz andere und hat mit Pestiziden kaum etwas zu tun.

Glyphosat ist nicht das Teufelszeug, als das es von vielen interessengeleiteten Gruppen dargestellt wird. Sieht man sich die Alternativen an, so schneidet es oft positiv ab. Zudem ist der Stoff schon sehr lange im Einsatz; es gibt unzählige toxikologische und ökotoxikologische Studien, die seine Harmlosigkeit gut belegen. Auch die Auswirkungen auf Regenwürmer muss bei Zulassungsstudien geprüft werden. Sollte es tatsächlich die in der hier besprochenen Studie vermuteten Wirkungen haben, so wäre das in anderen Studien längst aufgefallen. Auch wenn es die Studie mittlerweile geschafft hat, auf Wikipedia die negativen Umweltwirkungen belegen zu wollen, sagt das wenig darüber aus, ob es wirklich so ist. Auch auf Wikipedia gilt: Eine Studie ist keine Studie!

Nachtrag: zeitgleich ist heute noch ein weiterer kritischer Artikel zu der Studie erschienen, der die hiesige Analyse bestätigt. Eine wichtiger Punkt, der hier nicht erwähnt wird: das Roundup-Prärarat „Roundup Speed“ enthält neben Glyphosat noch eine weitere aktive Komponente: Pelargonsäure. Dies in der Studie nicht explizit zu erwähnen, ist kaum verzeihbar. Auch die insgesamt merkwürdige Sprühbehandlung mit mehreren Komponenten erklärt der Autor: da Glyphosat langsam wirkt (in der Regel innerhalb von zwei Wochen) und die Autoren der Studie damit nicht gerechnet hätten, haben sie kurzerhand das Design geändert und mit stärkeren Präparaten gearbeitet. Die Menge der dabei verwendeten Herbizide entspräche dabei etwa dem zehnfachen der empfohlenen Dosis. Auch das wird in der Studie ganz anders dargestellt.

Wir haben unseren Artikel noch um einen Tag ergänzt: Bad Science!


Viewing all articles
Browse latest Browse all 588