In diesem Monat wurde bekannt, dass eine weitere Protagonistin des abscheulichen AIDS-Leugner-Irrsinns „I won’t go quietly“ der Machwerk-Macherin Anne Blumenthal (Pseudonym Anna Sono) verstorben ist. Die Todesliste wird immer länger, aber an AIDS dürfen diese Menschen ja nicht gestorben sein. Die Todesfälle zeigen einmal mehr, wie gefährlich verschwörungstheoretisches Denken sein kann. Nicht nur für die namentlich bekannten Opfer dieses Irrsinns. Auch die Botschaft, sich nicht behandeln zu lassen, ist tödlich. Lindsey starb nicht leise, sie starb an den opportunistischen Krankheiten einer HIV-Infektion, sie starb an AIDS. Aus dem Forum möchten wir einen (offenen) Brief an Anne Sono zu dem aktuellen Ereignis veröffentlichen, den das gesamte Psiram-Team genauso unterschreiben kann.
Liebe Anne,
ist es okay, wenn ich dich duze? Es kommt mir fast vor, als wenn ich dich kennen würde, denn ich verfolge deine … „Arbeit“ schon seit längerem. Seit 2011, um genau zu sein, seit der Veröffentlichung deines Films „I won’t go quietly“.
Du bist – nach Eigenauskunft auf der Internetseite, auf der Du dein Machw… ähm … deinen „Dokumentarfilm“ promotest – „Journalistin“. „Journalistin“ ist fast so gut wie „Publizistin“ oder „Autorin“. Ich hab‘ eine Digitalkamera, kann so ein bisschen HTML und weiß, wie man einen Blog anlegt. Ich bin auch „Journalistin“. Das geht sogar schneller als den Heilpraktiker zu machen und mit den Segnungen des Internets kann man ungleich mehr Schaden anrichten. Du hast eigentlich Betriebswirtschaftslehre studiert. Du kennst dich aus mit Effizienz.
Du hast aber keine Ahnung von sorgfältiger Recherche, von professioneller Ethik und Wahrhaftigkeit. Denn wenn Du das hättest, dann hättest Du den Arsch in der Hose, deine Propaganda-Seite zu aktualisieren und deinen Film aus dem Netz zu nehmen.
Im April 2011 starb Karri Stockley. An den opportunistischen Erkrankungen einer HIV-Infektion und damit an AIDS. Nicht an Stress, schlechter Ernährung, an der antiretroviralen Behandlung, die ihr Leben hätte retten können oder einer Verschwörung der Pharma-Industrie. An AIDS.
Im Juni 2015 starb Barbara Seebald. An den opportunistischen Erkrankungen einer HIV-Infektion. An AIDS. Nicht an Stress mit dem Jugendamt, nicht an „gebrochenem Herzen“ oder einer „Smegma-Allergie“. An AIDS.
In diesem Monat wurde bekannt, dass Lindsey Nagel ebenfalls verstorben ist. An den opportunistischen Erkrankungen einer HIV-Infektion. An AIDS.
Damit sind jetzt die drei Protagonistinnen der ursprünglichen Fassung deines Films gestorben. „Drei“ heißt hier: „alle drei“. Alle drei Frauen, die Du ursprünglich als Beleg dafür präsentiert hast, dass man nach der HIV-Diagnose nur ohne antiretrovirale Therapie überleben kann. Keine von ihnen ging leise, denn wenn sich das Immunsystem nicht mehr gegen eigentlich harmlose Bakterien, Pilze und Viren wehren kann, ist das kein weichgezeichnetes Sterben in Pastelltönen. Aber alle drei sind gegangen. Anne, wie kann das sein? Sollten die nicht gesund und munter sein? Ihre Kinder aufwachsen sehen? Ist das nicht die zentrale Aussage deines Machw… ähm, Entschuldigung … deines „Dokumentarfilms“?
Lindsey wurde nicht einmal 25 Jahre alt und starb weniger als zwei Jahre nach der Geburt ihres ersten und damit auch einzigen Kindes. Lindsey hätte Rico aufwachsen sehen können, wenn sie nicht vom ersten Tag an von ihren Adoptiv-Eltern gehirngewaschen worden wäre. Als kleines Kind aus Rumänien adoptiert, bekam Lindsey 1991 AZT. Um AZT in hohen Dosen als Monotherapie ranken sich die Horrorgeschichten, die die Szene der AIDS-Leugner, in der Du dich so heimisch fühlst, bis heute am Leben hält. Ja, die Nebenwirkungen von AZT in den hohen Dosen, in denen das Medikament zu Beginn der 1990er Jahre verabreicht wurde, sind heftig. Die lebenszeitverlängernde Wirkung der Therapie war noch nicht belegt, man konnte also nur hoffen, dass die Qualen den Ausbruch von AIDS wenigstens verzögern. Ich kann Cheryl Nagel verstehen, wenn sie glaubte, dass sie das ihrer kleinen Adoptivtochter nicht zumuten könnte.
Aber wir haben nicht mehr 1991 und jetzt kann ich Cheryl Nagel nicht mehr verstehen. Ich kann dich nicht verstehen. Ich kann nicht verstehen, wie ihr den medizinischen Fortschritt von zwanzig Jahre ausblenden könnt, während die wissenschaftliche Medizin in dieser Zeit das Leben von tausenden, wenn nicht gar Millionen Menschen gerettet hat. Ich kann nicht verstehen, wie ihr euch immer abstrusere Erklärungen dafür aus den Finger saugt, warum junge Frauen an „Stress“ und einem „ungesunden Lebensstil“ sterben und warum dieses Sterben rein zufällig dem vollen Krankheitsbild von AIDS entspricht, so wie es in medizinischen Literatur beschrieben wird, aber trotzdem kein AIDS sein soll.
AIDS ist immer noch nicht heilbar, aber man kann den Ausbruch der Krankheit schon sehr lange hinauszögern. Die Behandlung greift tief ins Leben ein und belastet durch Nebenwirkungen, aber heute kann eine zwanzigjährige Frau wie Lindsey bei geringer Viruslast mit weiteren 50 Jahren rechnen (Die Daten, auf die wir uns beziehen, sind auch schon wieder fast ein Jahrzehnt alt!). Sie hätte nicht mit 24 sterben müssen.
Sofern sie rechtzeitig eine Therapie macht. Dank deines Films wird es weiter Frauen wie Karri, Barbara und Lindsey geben, die ein ganz normales Leben mit Familie, Freunden und Beruf haben könnten. Stattdessen werden sie wegen einer CMV-Retinitis erblinden, wie Karri. Sie werden wegen einer PC-Pneumonie ersticken, wie wahrscheinlich Barbara. Sie werden wie Lindsey am Ende ihres Lebens entsetzliche Schmerzen haben wegen eines Mykobakteriums. Ein Bakterium, das viele von uns täglich ohne Probleme zu uns nehmen und überleben, egal ob gestresst oder nicht, weil es in Trinkwasser vorkommt.
Wie wäre es mit einer Umschulung? Irgendwas Handwerkliches, vielleicht? Ohne Internetzugang, vorzugsweise. Nichts im Gesundheitsbereich. Lagerarbeiter werden immer gebraucht.
Verschwinde aus dem Netz. Mit Krawall – wenn du glaubst, Krach machen zu müssen. Aber verschwinde!