Die Versorgung der Bundesbürger mit Hanfblüten liegt im Argen und muss geregelt werden. Das heißt, ein Gesetz muss her; natürlich geht es allein um die Behandlung von Krankheiten. Der Referentenentwurf des Bundesgesundheitsministeriums sah vor:
die Verschreibungsfähigkeit von weiteren Arzneimitteln auf Cannabisbasis (dazu gehören z.B. Medizinalhanf, das heißt getrocknete Cannabisblüten sowie Cannabisextrakte in pharmazeutischer Qualität) herzustellen, um dadurch bei fehlenden Therapiealternativen bestimmten, insbesondere schwerwiegend chronisch erkrankten Patientinnen und Patienten nach entsprechender Indikationsstellung in kontrollierter pharmazeutischer Qualität durch Abgabe in Apotheken den Zugang zur therapeutischen Anwendung zu ermöglichen.
Die armen Menschen sollen sich das Zeug nicht mehr für 1800 EUR/Monat im Ausland besorgen müssen; die Kassen sollen das übernehmen. Löblich. Und warum auch nicht? Schon jetzt
werden Medikamente aus der „Alternativmedizin“ im tariflichen Umfang erstattet, soweit sie sich in der Praxis als ebenso Erfolg versprechend bewährt haben wie von der Schulmedizin anerkannte Mittel oder soweit keine Arzneimittel der Schulmedizin zur Verfügung stehen.
[Referentenentwurf]
Das war eine noch mäßig unbeholfene Formulierung, die ein wenig wie vor der eigenen Kühnheit erschrocken klingt. Die Grünen gerierten sich konsequenter:
Kritik an der Forschungs-Verpflichtung wie auch generell am geplanten Gesetz gibt es von den Grünen: Die Bundesregierung ginge das Thema immer noch mit Scheuklappen an. … Sie kritisieren, dass cannabishaltige Medikamente weiterhin nur dann verschrieben werden dürfen, wenn die Betroffenen alle anderen Behandlungsmöglichkeiten erfolglos ausprobiert haben. „Die Bundesregierung legt damit Schwerkranken auf der Suche nach Hilfe weiterhin dicke Steine in den Weg.“
DAZ.online
Aber wie steht es denn eigentlich um die empirische Absicherung der erwähnten „entsprechenden Indikationsstellung“? Dazu sagt der Referentenentwurf keinen Mucks. Fragen wir diejenigen, die das wissen müssten. In der Stellungnahme der Bundesärztekammer zum Referentenentwurf heißt es:
Während bislang vorliegende Übersichtsarbeiten für bestimmte Indikationsbereiche einen gewissen Nutzen für den therapeutischen Einsatz von cannabinoidhaltigen Rezeptur- und Fertigarzneien ausweisen, fehlt es für den medizinischen Einsatz von Medizinal-Cannabisblüten an ausreichender wissenschaftlicher Evidenz (2). Es ist zudem zu berücksichtigen, dass der Gebrauch von Medizinalhanf keine genaue Dosierung der medizinisch wirksamen Komponenten von Cannabis erlaubt und dessen Gebrauch als Joint mit den gesundheitlichen Gefahren des Tabakrauchens verbunden ist.
Außerdem wird noch auf zahlreiche weitere Inkonsistenzen des Entwurfs hingewiesen. Die Bundesärztekammer meint:
Als Resultat der dargelegten Kritik, schlagen die Bundesärztekammer und die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft folgende Änderung des im Gesetzentwurf vorgesehenen § 31 Absatz 6 SGB V-E vor:
„(6) Versicherte mit einer vom Arzt diagnostizierten schwerwiegenden chronischen Erkrankung(§ 62 Absatz 1 Satz 8)haben Anspruchauf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten undauf eine Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon., wenn […]
Und der Rest des Gesetzes wäre ersatzlos zu streichen. Zum Hintergrund: aus medizinischer Sicht ist es natürlich allemal konkurrenzlos vernünftiger, Wirkstoffe zu isolieren, als Kräuter aufzukochen und den Sud zu trinken oder sie zu verbrennen und ihren Rauch, vermischt mit Tabakrauch, zu inhalieren. Weniger Brimborium (“Natur”, “Pflanzliches”), dafür mehr Zuverlässigkeit. Es gibt ein zugelassenes Fertigarzneimittel mit den Wirkstoffen Dronabinol/Nabilon. Es ist zur Behandlung von Spastik zugelassen, aber ausschließlich bei Spastik infolge Multipler Sklerose. Wenn man eine Spastik anderer Ursache hat (Schlaganfall, Schädel-Hirn-Trauma u.a.), hat man eben Pech gehabt. Aber Hanfblüten rauchen darf man dann, dafür ist zukünftig Geld da. Es gibt genügend weitere Beispiele für diesen Abstand zwischen rational gut begründbarer Therapieoption und Rechtslage (z.B. bei Botulinumtoxin für Spastik und Dystonien, da ist die Situation chaotisch). Die Verringerung dieses Abstands wäre weit sinnvoller als die Propagierung von Hanfblüten, macht aber auch deutlich mehr Mühe und wäre nicht so öffentlichkeitswirksam.
Die scheinbare Paradoxie: Wenn man den Gesetzesentwurf so umformuliert, dass er vernünftig wird, dann stellt sich heraus, dass er überflüssig ist: Dronabinol/Nabilon für Spastik bei MS ist, wie erwähnt, ohnehin schon Kassenleistung. Der Klarheit halber: es gibt genau eine gesicherte Indikation; die genannte. Und diese nicht für Hanfblüten, sondern für das Wirkstoffgemisch. Bei allen anderen ist mehr der Wunsch Vater des Gedankens, wie sich bei nüchterner Betrachtung zeigt (ähnlich sieht es die von der Kammer zitierte Arzneimittelkommission, hier).
Nun ist es ja nicht so, dass die Bundesregierung etwa nicht auf den Rat der Fachleute hören würde. Im vom Bundeskabinett am 4. Mai 2016 gebilligten Gesetzesentwurf heißt es:
(6) Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung haben Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon, wenn […]
Und alles ist in schönster Ordnung. Die Ärzte können von uns aus ihre Fertigarzneimittel haben, aber wir werden uns nicht abhalten lassen, die Blüten unters Volk zu streuen.
Es handelt sich hier offenbar um ein weiteres Beispiel dafür, wie die Politik vor ideologischem Krawall zurückweicht (oder gar auf solchen aufsattelt) und dafür bewusst den Sachstand ignoriert. Hanf statt Glyphosat.