Wir haben kürzlich darauf hingewiesen, dass es für die seit Neuestem zu Lasten der Krankenkassen rezeptierbaren Hanfblüten keine wissenschaftlich ausreichend gesicherten Indikationen gibt. Der Gesetzgeber wusste dies, denn das hatten ihm Ärztekammer und Arzneimittelkommission mitgeteilt. Er hielt es für unerheblich. Er konnte auch nicht feststellen, wie viele potentiellen Anwender es geben wird und konnte nichts über Kosten prognostizieren. Das finanzielle Polster der Krankenkassen ist dennoch auf jeden Fall ausreichend, die monatlichen Therapiekosten von 1800 EUR (lt. Referentenentwurf) zu stemmen. Also kann es losgehen … aber, Moment: bei einer solchen Therapie handelt sich um „individuelle Heilversuche“, und der Arzt tut gut daran, vorher das Einverständnis der Krankenkasse einzuholen. Ohne ein solches Einverständnis fällt ihm die Verordnung als sog. Regress finanziell auf die Füße, und zwar mit voller Wucht (aus Sicht der Krankenkassen sind die Kosten ein „sonstiger Schaden“).
Gehen wir nun zu Demonstrationszwecken davon aus, dass der Bescheid eingetroffen ist; der Medizinische Dienst der Krankenkassen hat also eine Verordnung genehmigt, die weder notwendig noch wirtschaftlich ist und demzufolge gegen §12 SGB V verstößt. Ein großes Problem kann man darin nicht sehen, denn das ist üblich (vgl. hier und hier). Dann sind da noch ein paar winzige Details zu klären, über die die Fachliteratur keine hinreichende Auskunft gibt. Fragen wir also das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), damit wir rechtlich auf der sicheren Seite sind. Dort gibt es FAQ, genannt Hinweise für Ärzte. Genau das Richtige für die im Stich gelassenen Verordner. Wo bekomme ich also Informationen zu den Erkrankungen, bei denen Cannabis angewendet werden kann?
Informationen zur Behandlung von Erkrankungen und Symptomen mit nicht zugelassenen Cannabisarzneimitteln (insbesondere Blüten) stehen nur in sehr begrenztem Umfang zur Verfügung.
Aber immerhin wird eine einzelne Übersicht aus einer Fachzeitschrift aus dem Jahr 2015 angegeben. Dort heißt es, dass es überhaupt nur 2 Studien gibt, in denen Cannabis untersucht wurde. Deswegen war vermutlich auch ein Link überflüssig, den wir hiermit nachreichen.
Wie bei jedem anderen Arzneimittel gehört es sich, sich über das Nutzen-Risiko-Verhältnis klar zu werden. Hallo, Bundesinstitut, wie sieht es aus, über welche möglichen Nebenwirkungen muss der Patient aufgeklärt werden?
[Dazu] liegen nur begrenzt wissenschaftliche Informationen vor. Die Art der Nebenwirkungen dürfte denen bei der Anwendung zugelassener Cannabisarzneimittel ähnlich sein. Je nach Darreichungsform und Anwendungsart können aber auch andere bzw. weitere Nebenwirkungen auftreten.
Gut, dass das einmal gesagt wurde; es lässt keine Fragen offen. Welche Wechselwirkungen können auftreten?
Zu Wechselwirkungen von weiteren Cannabisextrakten oder Cannabisblüten sind dem BfArM keine wissenschaftlich gesicherten Informationen bekannt.
Gibt es Gegenanzeigen?
Zu Kontraindikationen bei der Anwendung von weiteren Cannabisextrakten oder Cannabisblüten sind dem BfArM keine wissenschaftlich gesicherten Informationen bekannt.
Das kann man so oder so verstehen, und jeder Geheimdienstchef wäre bei einer Befragung durch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss fein raus, wenn er sich hinter dieser Nebelwand verbergen kann. Aber, so gefühlt, rein unwissenschaftlich, meint man: wenn ein abhängiger, zwischenzeitlich psychotisch gewesener Kiffer mittlerweile clean ist, sollte man ihn vielleicht nicht wieder in die Bredouille bringen. Nun gut. Was soll der Patient eigentlich mit den Blüten anfangen?
Die Inhaltsstoffe der Cannabisblüten können über spezielle Vaporisatoren inhaliert werden.
Von anderen Darreichungsformen wird abgeraten. Sind die Vaporisatoren übrigens zu Lasten der Kassen verschreibbar? Dazu findet man nichts; wahrscheinlich rechnet der Gesetzgeber mit der Eigeninitiative des Patienten, wenn der schon auf Staatskosten kiffen darf. Und wenn sich nach 2 Anwendungstagen herausstellt, dass das Wundermittel doch nicht so wunderbar hilft – kann er das Gerät gegen Rückerstattung beim Arzt abgeben?
Wo bekomme ich Informationen zur Dosierung?
[Sie] stehen nur im sehr begrenzten Umfang zur Verfügung. Weiterführende Informationen finden sich u.a. auf der Internetseite der kanadischen Behörde Health Canada unter dem Titel „Information for Health Care Professionals“. Das BfArM übernimmt keinerlei Verantwortung für die Vollständigkeit und Richtigkeit dieser Informationen.
Alles klar, Herr Präsident. Im Sinne der internationalen Arbeitsteilung übernimmt Kanada diese Aufgabe. Und da das Institut ohnehin keinerlei Verantwortung übernimmt, muss auch kein Link her – es ist gleichgültig, auf welchem Dokument man landet. Ein paar Google-Skills wird man inzwischen voraussetzen dürfen. Wie sieht es, ganz nebenbei, mit der Fahrtauglichkeit aus?
Ausreichend verlässliche wissenschaftliche Informationen zu dieser Frage liegen nicht vor. Insbesondere zu Beginn der Therapie sowie in der Findungsphase für die richtige Dosierung ist von einer aktiven Teilnahme am Straßenverkehr abzuraten. Ob bei stabiler Dosierung die Teilnahme am Straßenverkehr möglich ist, muss in jedem Einzelfall nach Rücksprache mit den Patientinnen und Patienten entschieden werden.
Wie kann man sich diese Rücksprache im Einzelnen vorstellen? „Fahren Sie noch sicher?“ – „Natürlich, Frau Doktor!“ – was aber nicht vor der Polizei schützt, wie der BGH soeben festgestellt hat (hier). Übrigens: Wenn die Kasse der Verordnung nicht zustimmt, kein Problem (zumindest nicht für das BfArM; und vielleicht kann ja der Patient mit dem Anbieter verhandeln):
Die Kostenübernahme durch die Krankenkassen ist keine zwingende Bedingung für die Verschreibung.
Danke, liebes Bundesinstitut. Du hast den Ärzten sehr geholfen.
Aber der Fehler liegt nicht beim BfArM, das schließlich nichts anderes getan hat, als die Sachlage zu referieren. Der Fehler liegt beim Gesetzgeber, der den Schwarzen Peter der zahlreichen Unklarheiten einfach an die Ärzteschaft durchreicht: Diese Bedenkenträger sollen sich mal nicht so anstellen, irgendwie wird das schon gehen. Sie müssen nur wollen.