Quantcast
Channel: Psiram Blog
Viewing all articles
Browse latest Browse all 588

Medicus oeconomicus: Zur Pandemie der honorarmaximierenden Zahnbehandlung

$
0
0

Ein Forist hat kürzlich über seine stomatologischen Erfahrungen berichtet. Wir fanden seinen Bericht so bemerkenswert, dass wir ihn einem größeren Publikum vorstellen wollen.
——


Letztens war ich nach langer Zeit mal wieder beim Zahnarzt (in einer Uni-Klinik).
Neben anderen wichtigeren Dingen empfahl man mir ganz unverbindlich und optional eine „Kariesinfiltration“ – kommerziell „icon“ genannt.
Mit ein wenig Recherche fand ich heraus, dass es dazu nicht viel zu lesen gibt. Gefühlt das einzige Paper, das dazu veröffentlicht worden ist und etwas zur Evidenz sagte, war von den Doktoren der Herstellerfirma selbst. Es hätte auf jeden Fall eine Menge Geld gekostet, pro Zahn natürlich.

Später wollte man mir dann zur Tomographie die Digitale Volumentomographie (DVT) statt der kassenbezahlten Computer-Tomographie verkaufen. Vorher sagte man mir, dass beim Herausziehen eines Zahnes eine permanente Lähmung o. ä. entstehen kann. Die DVT funktioniere wohl anders und besser und habe Vorteile wie u. a. eine geringere Strahlenbelastung. Vor Ort sollte ich mich quasi erst einmal vor ein paar Azubis entscheiden, ob ich ein armer Schlucker oder Geizhals bin, dessen Gesundheit ihm nicht wichtig ist, oder einer, dem natürlich das beste nur gut genug sein kann. Schließlich bekam ich dann doch die Gelegenheit, bis zum nächsten Termin zu entscheiden.
Ich frage mich da: Bin ich jetzt plötzlich Radiologe, um beurteilen zu können, wie hoch der Schaden für mich als Patient ist? Wieso muss ich nach einem Zahnarzt-Termin im Internet recherchieren, ob das „neuere“, „bessere“ Verfahren überhaupt einen nennenswerten Nutzen für mich bringt, oder ob der Zahnarzt einfach Knete von mir haben wollte?

Eine Bekannte wollte sich vor kurzem die Zähne ziehen lassen. Vom einen Zahnarzt wurde sie erst einmal zum nächsten Zahnarzt gesandt. Der wollte erst einmal nicht die Zähne ziehen und sie „beraten“. Nach Hause kam sie mit einem Kostenvoranschlag für ein nicht-kassenbezahltes Produkt. Das Produkt nennt sich „collacone“, und Google bringt nur ca. achttausend Treffer. Das Produkt kostet 180€. Mit diesem Produkt sollten weniger Schmerzen nach der Zahn-OP aufkommen und sich die Zeit bis zur Heilung verkürzen.

Sicherlich kann man vom mündigen Patient ausgehen, der selbstbewusst zusagt und ablehnt, aber aus meiner Sicht ist das ein paar Vorstufen von: den Patienten Angst machen und ihnen dann etwas verkaufen, was sie eigentlich nicht brauchen. Ist das bei jedem Zahnarzt so? Oder bei der Mehrheit? Falls ja, würde ich mich als Berufsstand schon ziemlich schämen. Ich erwarte von (Zahn-)ärzten, dass sie einem genau das empfehlen, was Freunde einem nahe legen würden. Und das wäre sicherlich kein überteuerter Müll, dessen Nutzen marginal ist.


Viewing all articles
Browse latest Browse all 588