Quantcast
Channel: Psiram Blog
Viewing all articles
Browse latest Browse all 588

Homöopathie im Standard

$
0
0

Der Standard, eine österreichische Tageszeitung, ist an und für sich kein schlechtes Blatt. Aber wie es scheint, muss die Gesundheitsredaktion mindestens einmal im Jahr einen Bock schießen. Ist wohl Jagdsaison oder so.

Diesmal berichtet das Blatt über ein Symposium zur wissenschaftlichen Forschung in der Homöopathie: “Nicht Glauben sondern Wissen(schaft)”. Dabei wurde wohl über folgende Themen referiert:

  • Kann Homöopathie den Kriterien der evidenzbasierten Medizin standhalten?
  • Ist homöopathische Behandlung auf lange Sicht billiger als schulmedizinische?
  • Wie können HomöopathInnen in der Praxis ihren Beitrag zur Wissenschaft leisten?

Das Wort Symposium kann hier wohl nur im primitivsten altgriechischen Sinne gebraucht worden sein, andernfalls erschließt sich uns der Gedanke der Veranstaltung nicht, denn die Antworten kann man aus dem Handgelenk geben: “Nein“, “Nein” und “Ist das eine Fangfrage?”.

Welch Geistes Kind der Artikel (und die Veranstaltung) ist, zeigt sich dann schon im ersten Satz zum Symposium.

Die Abgrenzung zur Schulmedizin dominierte, aber es gab Beispiele, wie sich das Beste zweier Welten vereinbaren ließe

Damit ist ein für alle mal klargestellt, hier geht es um: Die „böse Schulmedizin – die sanfte Homöopathie“. Und da die Homöopathie so lieb ist, geht sie auf die böse Schulmedizin ein. Sie ist ja viel verständnisvoller und sucht den Kompromiss. Wie der Jäger, der 2 Schüsse abgibt: einen vorn vorbei, einen hinten vorbei. Als Kompromiss definiert man: Er hat getroffen.

Die Aufregung in den deutschen Medien war programmiert. Die Homöopathie-Lüge – So gefährlich ist die Lehre von den weißen Kügelchen (Piper-Verlag) heißt ein neuer Buchtitel, verfasst von der Stern-Journalistin Nicole Heißmann und dem Biologen Christian Weymayr, der eine alte Diskussion wieder hochkochen lässt.

Welche Aufregung? Ein längst überfälliges Buch, über das sich allenfalls Homöopathen aufregen, die keine Gegenargumente haben.

“Schulmedizin gegen Homöopathie” lautet das Match, und es wird auf mehreren Ebenen ausgefochten.

Bei so einem Satz zieht es einem alles zusammen.

Die einzige relevante Ebene ist die Wissenschaft und da ist die Homöopathie vor Ewigkeiten zweistellig nach Hause geschickt worden – um im Bild zu bleiben. Die Homöopathen hätten natürlich gerne andere Ebenen und würden lieber Dalsgor – Das lustige Spiel ganz ohne Regeln – spielen. Aber sogar die Kreisliga wird nicht vom schönsten, dicksten oder blödesten Team gewonnen, sondern von dem, das am besten Fußball spielt.

Am vergangenen Wochenende konnten sich Studierende der Med-Uni Wien am Symposium “Nicht Glauben, sondern Wissen(schaft)” im Hörsaal 3 des Wiener AKH einen Eindruck über die Vielschichtigkeit der Auseinandersetzung machen.

Die „Vielschichtigkeit“ wurde dabei ausschließlich aus der Sicht der Homöopathen dargestellt. De facto gibt es auch keine Auseinandersetzung, die Homöopathie ist auf den Placeboeffekt reduziert.

Dass hier Weltanschauungen aufeinanderprallen, war den Teilnehmern vom ersten Vortrag an klar. “Ich bin hier, um mir ein Bild über Homöopathie zu machen, man weiß zu wenig davon”, meinte eine junge Studierende, um dann in den Diskurs um wissenschaftliche Methodik, menschliche Wahrnehmungskapazität und die unterschiedlichen Schlussfolgerungen daraus einzutauchen.

Wir bezweifeln stark, dass da irgendwas gegen irgendwas anderes geprallt ist. Es war eine Homöopathie-Lobhudeleiveranstaltung – fertig. Es ging nur darum, wie das religiöse Konzept der Homöopathie der Wissenschaft gleichsetzbar gemacht werden kann. Für die „junge Studierende“ ist es löblich zu lernen, aber dazu geht man besser auf seriöse Veranstaltungen.

Darüber, dass Homöopathen forschen, ihre Beobachtungen systematisieren und an andere weitergeben, besteht kein Zweifel.

Doch, immense. Nur die qualitativ minderwertigen Homöopathiestudien finden eine Wirksamkeit. Dabei wird mit allen Mitteln am Design gefeilt, damit es auf jeden Fall positiv ist.

In seinem Einführungsvortrag präsentierte der Allgemeinmediziner und Homöopath Fritz Dellmour die Datenlage. 705 Studien an Menschen, 302 Studien der Veterinärmedizin und 1750 experimentelle Studien sind in den Datenbanken erfasst.

Glückwunsch! Was hilft es, wenn die hochwertigen Studien klar zeigen, dass es sich um eine Placebomedizin handelt und die allgemeine Tendenz gilt: je schlechter das Studiendesign, desto besser der Beleg für die Homöopathie.

Homöopathen organisieren Weiterbildungsveranstaltungen, publizieren. Zu den großen Handicaps zählt der Mangel an finanziellen Ressourcen, die ihnen dabei zur Verfügung stehen.

Die armen, armen Homöopathen. Vielleicht sollten die sich mal an die großen Homöopathiehersteller mit ihren dreistelligen Millionenumsätzen wenden, die gerne Geld dafür ausgeben, dass minderbegabte Werbefuzzis Hasstiraden im Internet über Kritiker ausschütten, aber offenbar kein Interesse an einer seriösen Überprüfung ihrer Produkte haben.

Warum sich Homöopathen und Schulmediziner so gar nicht verstehen, liegt in der unterschiedlichen wissenschaftlichen Methodik begründet.

Es gibt nur eine wissenschaftliche Methodik.

Für die Schulmedizin gelten allein statistische Mittelwerte, die in aufwändigen, placebokontrollierten Studien gewonnen werden. Evidenzbasierte Medizin ist der Schlüsselbegriff. Untersucht werden – im Hinblick auf Eindeutigkeit – monokausale Zusammenhänge: Ein Wirkstoff führt zu einer erwünschten Wirkung, das ist das Ziel.

Ist zwar falsch dargestellt, klingt aber fast vernünftig. Im Umkehrschluss heißt das wohl, dass Homöopathen das alles nicht tun – keine Placebokontrollen, keine Statistik, kein Aufwand, keine Evidenz…

Von den kleinen spitzfindigen Gemeinheiten, die typisch für diesen Artikel sind, ganz zu schweigen: es gelten „allein“ statistische Mittelwerte, „erwünschte“ Wirkung, „monokausale Zusammenhänge“…

Allein schon, dass die Homöopathen Wirkstoffe in so stark verdünnter Form einsetzen, dass sie nicht mehr nachweisbar sind, bringt die Skeptiker in Rage, abgesehen davon lassen Schulmediziner aber auch die vielen Einzelbeobachtungen in der Homöopathie nicht als Beweis für eine Wirksamkeit gelten.

Das bringt niemanden in „Rage“ sondern löst höchstens Heiterkeit aus. Es muss auch niemand emotional reagieren, weil man diese Behauptungen mit Mittelstufenchemie und gesundem Menschenverstand ganz rational widerlegen kann. Die Wirksamkeit der Homöopathie wird allgemein anerkannt, sie wird aber mit dem Placeboeffekt begründet und nicht mit einem in sich völlig unlogischen, unsinnigen System aus widerlegten Behauptungen, die auf Vorstellungen beruhen, die gegen sämtliche Naturgesetze verstoßen.

Was die Skeptiker in Rage bringt, ist folgendes Verhalten:
H: “Mein Schwein hat Superkräfte”
S: “Zeig her”
H: “Um, es geht gerade nicht. Da muss wohl Kryptonit in der Nähe sein.”

Seien wir ehrlich, wer möchte mit Herrn H. zusammenarbeiten? Er behauptet etwas Abstruses und als Erklärung dafür, dass es doch nicht funktioniert, erfindet er etwas noch Irrsinnigeres. Und um nichts in der Welt wird er zugeben, dass sein Schwein nicht fliegen kann. Es schaut nur gerade nie ein Skeptiker hin…

Jagd auf Evidenz
“Eine gewisse klinische Wirksamkeit der Homöopathie ist unumstritten”, stellte Klaus Linde von der Technischen Universität München klar.

Ja. Placebo. Wissen wir. Ist allen klar. Danke.

Der Mediziner und Epidemiologe befasst sich seit vielen Jahren mit der Effektivität von naturheilkundlichen Methoden und ihrer Nachweisbarkeit. Mit dem Placeboeffekt hat er sich ausführlich auseinandergesetzt. Genau darin – nämlich in der ausführlichen Anamnese und Betreuung durch einen homöopathischen Arzt – vermutet die Schulmedizin nämlich auch die Wirkung, und nicht in den weißen Kügelchen.

Er vermutet nicht nur – er hat Belege. z.B. wurde das in einer Rheumatologie-Studie nachgewiesen.

Im etablierten System der Schulmedizin wird Ärzten die Zeit für Patienten nicht mehr gezahlt.

Ja, genau. Man kann in jedem beliebigen System Optimierungen anbringen. Die Anamnese bzw. die Regelungen dazu zu verbessern, gehört sicherlich dazu, aber deswegen muss man kein Voodoo ins System einführen.

Jedenfalls ortet Linde vier große Gruppen von Akteuren in der Diskussion: Neben den orthodoxen Befürwortern beider Lager gebe es zunehmend auch solche mit einer Restunsicherheit, die sich der jeweilige Gegenseite nicht vollkommen verschließen.

Nochmal. Es gibt keine zwei Lager. Es gibt keine Diskussion. Es gibt nur
[ ] Ich verstehe etwas von Wissenschaft
[ ] Ich verstehe nichts von Wissenschaft

Michael Frass, Intensivmediziner an der Med-Uni Wien, ist einer von ihnen. Er präsentierte eine Studie, in der er zeigen konnte, dass eine zusätzliche Behandlung mit homöopathischen Medikamenten die Überlebenschancen von Patienten mit schwerer Sepsis um 25 Prozent erhöhte. Die Patienten waren bewusstlos, was den Placebo-Effekt relativiert, präzisierte er, doch “die Grenzen zwischen konventioneller und homöopathischer Medizin sind zu beachten”, betonte er und plädierte für eine ausgewogene, keinesfalls fanatische Homöopathie.

25% bei Sepsis? Wow. Wow. Das ist ja unglaublich. Das ist so gut, dass man es wirklich nicht glauben kann. Herr Frass war ja schon einmal beim Standard zu Gast und hat sich auch damals nicht so sehr um Fakten gekümmert.

Eine differenzierte Betrachtung ist auch das Credo am Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie der Berliner Universitätsklinik Charité, wo man Wert auf Methodenpluralität legt und neben placebokontrollierten Studien auch Outcome- und Versorgungsforschung anwendet, die die Wirklichkeit in der alltäglichen Versorgung in Arztpraxen widerspiegelt.

Charité, Charité. Woher kennen wir das nur? Ach ja, aus unserem Wiki: Charité, mit freundlicher Finanzierung durch die Karl und Veronica Carstens-Stiftung zur Förderung der Homöopathie und Alternativmedizin.

“Wer definiert, was Wissen ist und was als Wirklichkeit betrachtet wird?” fragte Michael Teut die Studierenden im Auditorium des Wiener AKH. Teut ist Schulmediziner, definiert sich aber als offen für andere Denkkonstrukte.

Offen ist gut! Herr Teut ist offenbar so offen, dass er es schafft, in einer Studie mit 15 Personen (mit einer Kontrollgruppe von 4 (in Worten VIER) Personen) 682 Symptome festzustellen. Respekt. Extrapunkte für den Mut beim Studiendesign.

Konkret stellte er in Wien eine vergleichende Beobachtungsstudie zur Effektivität der Therapie von Atopischer Dermatitis bei Kindern vor: zwischen Homöopathie und Schulmedizin gab es, was die Ergebnisse betrifft, kaum Unterschiede.

Eine typische Homöopathie-Studie. 103 Praxen, keine Placeboüberprüfung. Gleiche Strategie wie hier.

Frage der Kosten
“Homöopathie innerhalb der gesetzlichen Krankenkassen ist kostengünstiger”, berichtete Homöopath Klaus von Ammon von der Universität Bern. In der Schweiz gibt es Homöopathie auf Krankenschein, zwischen 1999 und 2006, zeigen Studien, hat diese komplementäre Behandlungsform nur 0,5 Promille der Gesundheitskosten ausgemacht. Homöopathische Hausärzte arbeiteten zudem um 15 Prozent kostengünstiger als ihre Kollegen. Ob sich Homöopathie für alle Krankheiten eignet? “Nein, bei Krebs oder operativ zu lösenden Problemen nicht, aber in der Kinderheilkunde, bei Allergien und Hautproblemen erzielen wir gute Ergebnisse”, so Ammon.

Ja, ja, das Märchen vom Kostendämpfer Homöopathie.

Klaus Linde thematisierte auch die weltanschauliche Komponente: “Wer grün wählt, geht lieber zum Homöopathen”, sagt er, das sei Faktum. Die Schulmediziner wiederum treten an, um die hehre Wissenschaft gegen Andersdenkende zu verteidigen. Insofern ist der Disput politisch und wird – vielleicht auch zu Ungunsten von Patienten – weitergehen. (Karin Pollack, DER STANDARD, 26.11.2012)

Ja, die guten, naturverbundenen homöopathischen Underdogs, die die Welt verbessern wollen und die bitterlich politisch verfolgt werden! Ganz klar, die ewig Gestrigen sind nicht diejenigen, die einem seit 200 Jahren unveränderten, religiös-mystischen System anhängen, das vielfach widerlegt ist, sondern die modernen Forscher, die mit neuesten Methoden mehr und mehr Krankheiten den Schrecken nehmen.


Viewing all articles
Browse latest Browse all 588