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Angelesen: „Verschwörungstheorien“ von Bernd Harder

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Wer sich schon länger mit dem Thema Verschwörungstheorien beschäftigt, wird sie kennen: die seltsam verbogenen Argumente, sich selbst bestätigenden Scheinfakten, die Zirkelschlüsse und „Cui bono“-Fragen. Als unbeteiligter Beobachter ist es ja gelegentlich sogar unterhaltsam, besonders wenn man schon vorher ahnt, zu welchem aktuellen Ereignis sich bald wieder die üblichen Aluhüte zu Wort melden werden. Dem fleißigen Skeptiker stellen sich allerdings auch immer wieder dieselben Fragen: Wer glaubt so einen Blödsinn? Warum verbreiten sich auch die abgefahrensten Mythen wie ein Lauffeuer? Was kann man dagegen tun?

Das handliche Büchlein von Bernd Harder, dieses Jahr erschienen (160 Seiten, 10 Euro), liefert einige Antworten und hilft beim Verständnis der Zusammenhänge. Dabei bezieht es sich auf aktuelle Internet-Verschwörungstheorien, aber auch geschichtliche Zusammenhänge kommen nicht zu kurz.

Nach einer grundlegenden Einführung in das Thema findet sich am Anfang jedes Kapitels eine Behauptung oder These, die nach eingehender Diskussion zu einer Schlussfolgerung führt. So geht Bernd Harder am Anfang auf die Frage ein, woran man eine Verschwörungstheorie erkennt und was sie von einer „echten“ Verschwörung unterscheidet. Auch die Verwendung des Begriffes selbst wird ausgiebig diskutiert und dabei plausibel erklärt, warum hier nicht von Verschwörungsglaube oder Verschwörungsideologie gesprochen wird.

Was also lernen wir bei der Lektüre des Buches? Etwa, dass Verschwörungstheorien eine Methode zur Komplexitätsreduktion sind und damit einfache Antworten auf komplizierte Fragen geben. Und wir erfahren, was der Glaube an Verschwörungstheorien mit Mustererkennung oder der Angst vor Kontrollverlust zu tun hat. All diese Erklärungen kommen leicht verständlich daher, werden aber trotzdem sorgfältig belegt. An keinem Punkt hat man das Gefühl, Bernd Harder habe sich eine Erklärung einfach ausgedacht. Vielmehr arbeitet er ausgiebig mit Zitaten anerkannter Experten oder fasst deren Erkenntnisse unverfälscht zusammen. Eine umfangreiche Literaturliste lädt zur Vertiefung des Themas ein.

Noch verständlicher wird das Prinzip der Verschwörungstheorie in Form eines aktuellen Beispiels, namentlich der Chemtrail-Verschwörung. Schritt für Schritt folgen wir dem eigentlich ganz rationalen Herrn Mustermann auf seinem Weg durch ein Wirrwarr an Informationen, Vermutungen, Behauptungen und Fehlschlüssen, der nach einigen Umwegen irgendwann zur Gewissheit führt, dass am Himmel über uns etwas Ungeheuerliches stattfindet. Diese Gewissheit wird schließlich zum Teil der Identität und verfestigt sich so fast unumkehrbar.

Dass der unreflektierte Glaube an Verschwörungstheorien weder für die einzelne Person noch für eine Gesellschaft harmlos oder gar amüsant ist, zeigt Bernd Harder bei einem Exkurs in politische Ereignisse aus Vergangenheit und Gegenwart. So können Verschwörungstheorien etwa durchaus als politisches Kampfmittel eingesetzt werden, um bestehende demokratische Strukturen zu destabilisieren. Vom Klimawandel über Flüchtlingspolitik bis zum Antisemitismus: an Beispielen mangelt es nicht, um zu zeigen, dass Verschwörungstheorien ernst genommen werden müssen und gesellschaftliche sowie politische Maßnahmen erforderlich sind, um ihrer Ausbreitung entgegenzuwirken.

Bleibt zum Schluss die schwierigste Frage: Was tun wir dagegen? Hier fehlen naturgemäß die einfachen Antworten. Immerhin liefert das Buch einige Ansätze, um im persönlichen Umfeld oder in Internet-Diskussionen einen sinnvollen Umgang mit verschwörungsgläubigen Menschen zu finden. Kleine Erfolgsgeschichten aus der Praxis geben den Lesern Werkzeuge an die Hand, die zumindest ausprobiert werden können. Ob Aufklärung, Verständnis, einfach nur zuhören oder gezieltes Nachfragen jeweils geeignet sind, weiß man oft erst hinterher. So bleiben am Schluss zwar weiterhin die großen Fragen offen, der Ratlosigkeit im Umgang mit Verschwörungstheorien wird aber doch eine umfassende Sammlung an Erklärungen, Grundlagen und Strategien entgegengesetzt.

Wer schon mehrere Bücher über Verschwörungstheorien gelesen hat, wird hier nicht viel Neues finden. Trotzdem lohnt die Lektüre allein wegen des gut strukturierten und übersichtlichen Aufbaus, und sei es nur als Nachschlagewerk. Besonders Neulinge und Neugierige finden hier einen umfassenden Einstieg in das Thema. „Verschwörungstheorien: Ursachen – Gefahren – Strategien“ von Bernd Harder gehört in jeden skeptischen Werkzeugkasten, oder zumindest ins Bücherregal.

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