Homöopathie-Aufklärung ist eine tolle Sache. Allen, die geduldig immer wieder erläutern, warum wirkstofflose Zuckerkugeln keine Medizin sind, gebührt höchster Respekt. Hier sind an erster Stelle das Informationsnetzwerk Homöopathie und die GWUP sowie der Konsumentenbund bzw. deren unermüdliche und überwiegend ehrenamtliche AktivistInnen zu nennen. Auch wir bei Psiram versuchen, unseren Teil dazu beizutragen. Und tatsächlich sind seit etwa einem Jahr erste Erfolge zu verzeichnen. Der Tenor in den Medien hat sich verändert, über Homöopathie wird kritischer berichtet, (echte) Experten dürfen sich zu Wort melden, es gibt sogar politische Aktivitäten zur Eindämmung der verdünnten Zuckerflut. Die verhinderten Tortenverzierer haben es zunehmend schwer, ihre wissenschaftsfernen Märchen unwidersprochen zu verbreiten.
So weit, so gut.
An diesem Punkt stellt sich die Frage, wie Homöopathie-Aufklärung idealerweise aussehen soll. Muss es die harte Konfrontation sein? Die „Wissenschaftskeule“? Soll man die Leute „da abholen, wo sie stehen“? Sind eventuell Kompromissvorschläge sinnvoll (ein bisschen Hokuspokus, ein bisschen Wissenschaft)? Ist es wichtig, auf die Globulisten zuzugehen, sie nicht zu verärgern, um ihnen dann mit dem kleinen Löffel und viel Sirup die bittere Realität näherzubringen, nämlich dass sie sich von einer kriminellen Bande, dem Bodensatz der Pharmaindustrie – zu faul zum Forschen, zu gierig und verblendet, um echte Medikamente herzustellen – , jahrelang haben veralbern lassen? Sind Gesetze und Verbote erforderlich, um diesen mehr als 200 Jahre währenden Betrug am Patienten zu beenden?
Welche Strategien auf Dauer am wirksamsten sind, muss sich erst noch herausstellen. Unsere Methode ist und bleibt der Realismus. Der kommt nicht immer freundlich daher, weshalb er oft auf Widerstand stößt. Das ist unsere Nische, und wir möchten diese Vorgehensweise nicht verallgemeinern oder gar als die einzig richtige darstellen.
Aus dieser Position heraus betrachten wir allzu nachgiebige Herangehensweisen natürlich mit Vorbehalten. Zwei Beispiele in Form von Homöopathie-Aufklärungsvideos sollen zeigen, welche Gefahren es mit sich bringt, wenn statt klarer Worte eine falsche journalistische Ausgewogenheit die Grenzen zwischen Phantasie und Wirklichkeit zu verwischen droht – und wie Homöopathie-Aufklärung nicht aussehen sollte. Daraus ergibt sich ein Appell, speziell an Journalisten: Traut Euch, Fakten klar zu präsentieren und Unsinn als solchen zu bezeichnen. Redet nicht aus falsch verstandener Toleranz um den heißen Brei herum.
Fall 1:
Ein Video vom wirklich hervorragenden Youtube-Kanal „Dinge Erklärt – Kurzgesagt“
Titel: „Homöopathie – Sanfte Alternative oder dreister Humbug?“
Schauen wir darüber hinweg, dass bereits der Titel versucht, diese Frage offen zu lassen. Stattdessen wollen wir uns in die Rolle eines homöopathieliebenden Menschen versetzen, stellen unseren Wahrnehmungsfilter auf den pastellvioletten Ganzheitlichkeitskanal ein und picken uns die Sätze heraus, die uns am besten gefallen. Das sieht dann etwa so aus:
Wie funktioniert Homöopathie? Wie ist sie zu dem geworden, was sie heute ist? Und was kann die moderne Medizin von ihr lernen? Das erste Grundprinzip der Homöopathie ist „Ähnliches mit Ähnlichem heilen“. Homöopathische Mittel verwenden Wirkstoffe, die genau die Symptome erzeugen, die geheilt werden sollen. Durch verdünnen und schütteln der Wirkstoffe soll ihre innere Heilkraft geweckt und verstärkt werden. Das fertige Heilmittel wird dann meistens auf Zuckerkügelchen geträufelt und als Globuli verkauft. Die extreme Verdünnung soll die Wirkung der Inhaltsstoffe verstärken. Das Wasser bildet eine Art Erinnerung aus.
Der deutsche Arzt Samuel Hahnemann suchte nach einer sanften, natürlichen Heilmethode und entwickelte die Homöopathie. Homöopathische Krankenhäuser waren tatsächlich bald recht erfolgreich.
Ist es wichtig, wie es funktioniert, wenn es hilft? Vielleicht hast du es schon einmal probiert und dich besser gefühlt. Oder du kennst jemanden, der sich durch Homöopathie von einer schlimmen Krankheit erholt hat. Und was ist mit den Berichten über die Wirkung an Kindern und Haustieren? Wenn man an die Wirksamkeit eines Mittels glaubt, kann alleine dieser Glaube helfen.
Das Erstgespräch mit einem Homöopathen dauert oft Stunden und ist sehr persönlich. Für Patienten, die bereits eine Odyssee von Arzt zu Arzt hinter sich haben, machen diese Aufmerksamkeit und Empathie einen Riesenunterschied.
Moderne Medizin ist straff organisiert. Budgets sind knapp, Ärzte und Pfleger überarbeitet. Diagnosen müssen schnell gestellt und Behandlungen zügig abgewickelt werden. Patienten fühlen sich oft unsichtbar und wie eine Nummer. Das können wir von der Homöopathie lernen: Sie wird einem menschlichen Bedürfnis gerecht.
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Jeder einzelne dieser Sätze kommt exakt so in diesem Video vor. Liest sich das nicht wie eine Werbeveranstaltung für eine sanfte, zauberhafte, wirksame und bewährte Heilmethode? Zugegeben, kritische Anmerkungen sind ebenfalls reichlich vorhanden, und sie überwiegen sogar gegen Ende des Clips. Aber sie verblassen, sind nur eine Meinung, ein nebensächlicher Aspekt. Der Gesamteindruck ist ein anderer: Hey, klar gibt es auch Kritiker, macht ja nichts, was zählt, ist das gute Gefühl.
Dieses „coole“ Video wurde bereits im Februar 2018 im GWUP-Blog beworben. Im Oktober folgte dann die Aufforderung, für diesen Beitrag beim Video-Wettbewerb „Fast Forward Science“ zu stimmen.
Auch die Credits unter dem Video sind erwähnenswert:
„Wir danken Dr. Natalie Grams, Dr.-Ing. Norbert Aust und Udo Endruscheit sowie Dr. Robin Fears und Professor Paul Glasziou für ihre Unterstützung bei der Recherche.“
Fall 2:
Die auch von uns gern zitierte Seite addendum präsentiert ein selbst produziertes Video mit dem Titel „Im Kontext: Glaubenssache Homöopathie – Arznei ohne Wirkung?“. Die addendum-Journalisten haben den lobenswerten Anspruch, faktenbasiert zu recherchieren und zu publizieren. Selbstbeschreibung:
Die Quo Vadis Veritas Redaktions GmbH wurde als Medienplattform der gemeinnützigen Quo Vadis Veritas Privatstiftung gegründet, agiert vollkommen unabhängig und verfolgt das Ziel, an der Wiederherstellung einer gemeinsamen Faktenbasis für eine qualifizierte politische Debatte zu arbeiten.
Auch der gewöhnlich faktenliebende Spektrum-Verlag zeigte dieses Video im November auf Spektrum.de. Schauen wir uns die erwähnte „gemeinsame Faktenbasis“ am Beispiel des genannten Videos an und setzen zuvor wieder unsere globulifreundliche Brille auf:
In den ersten Minuten kommen Homöopathieanwender im Schnelldurchlauf zu Wort und dürfen die typischen Anekdoten aufsagen. „Mir hat es geholfen“, „Tiere kennen keinen Plazeboeffekt“, „wer heilt hat recht“.
Erstes Fallbeispiel: Die Sportjournalistin Edith Zuschmann, seit einem Gelenkleiden „überzeugte Anhängerin der Homöopathie“, wird vorgestellt und ihr Besuch beim Homöopathen gezeigt. In diesem Zusammenhang wird das „Ähnlichkeitsprinzip“ und die Wahl des homöopathischen Mittels erklärt. Die Patientin erzählt von ihren Erfahrungen und ist sicher, dass es die homöopathische Behandlung war, die sie geheilt hat.
Schnitt zu einem Reiterhof. Es geht weiter mit einem Pferd, das an einer Knochenverletzung litt. Die Halterin berichtet begeistert, dass ihr Tier durch Globuli wieder voll belastbar wurde, obwohl der Tierarzt ihr keine Hoffnung mehr machen konnte. Weiteres Fallbeispiel, anderes Pferd: Homöopathie-Tierarzt Scherr berichtet von der Verabreichung eines D1000-Mittels, das zur Heilung einer Entzündung führte. Die ebenfalls durchgeführte Laserbehandlung wird in einem Nebensatz erwähnt. Scherr ist überzeugt, dass es bei Pferden keinen Plazeboeffekt gibt und beteuert, dass Homöopathie immer wirke, oft innerhalb von Sekunden.
Besuch beim Homöopathie-Hersteller Spagyra: Dietmar Schöberl, Herstellungsleiter, erklärt umfangreich die Herstellung homöopathischer Mittel von der Urtinktur über die Verdünnung, sorry, Potenzierung bis zum fertigen Präparat. Schöberl philosophiert über elektromagnetische Schwingungen, Information und Energie. Das Spagyra-Logo auf seinem Laborkittel ist jederzeit gut sichtbar.
Auftritt Natalie Grams: Sie berichtet, dass ihre Homöopathen-Kollegen sich nach ihrer Abkehr von der Homöopathie abgewendet haben, erzählt (initiiert durch eine Suggestivfrage) vom guten Gefühl, das homöopathisch behandelte Patienten gewinnen. Frau Grams schildert die Erfahrungen mit ihrem ersten Buch sowie ihren früheren Umgang mit Patienten. Für ein paar wenige kritische Worte bleibt kaum Zeit.
Szenenwechsel. Es wird in Schrift und Ton aus einem Homöopathiebuch von Erfried Pichler zitiert:
„Als praktische Medizin kann die Homöopathie nicht naturwissenschaftlich begründet werden. Allerdings besteht für die Homöopathie kein Begründungsbedarf durch fremde Wissenschaftsmodelle, da sie über ein voll ausgebildetes und seit über 200 Jahren erfolgreich eingesetztes, eigenes Wissenschaftsmodell verfügt.“
Weiter geht es nach Wien. Journalist Timo Küntzle steht vor dem AKH. Hier arbeitet der Homöopath und Internist Michael Frass, der mit einer Krebspatientin gezeigt wird, welche erklärt, dass sie ihre Genesung der homöopathischen Behandlung verdanke. Arbeiten von Frass werden zitiert, auf positive Studien hingewiesen. Für die Homöopathie ungünstig ausgefallene Studien werden von Frass relativiert.
Im weiteren Verlauf des Filmes werden ein paar schlecht gelaunte alte Männer und Frauen gezeigt, die etwas gegen die heilende Wirkung der Homöopathie haben sowie einige Apotheken-Kundinnen, die auf Globuli schwören.
Schlusssatz: „Manchmal ist das persönliche Wohlbefinden eben eine Frage des Glaubens.“
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Auch hier haben wir die kritischen Stimmen großzügig überhört. Dennoch sind sie vorhanden: Im ersten Teil des Films nehmen sie weniger als 20% der Laufzeit ein, gegen Ende überwiegen sie; sogar renommierte Homöopathiekritiker wie Edzard Ernst und Edmund Berndt kommen ausgiebig zu Wort. Wichtig ist jedoch, was beim unbedarften Betrachter hängen bleibt: Homöopathie hat einen guten Ruf als „sanfte Alternative“, „ohne Chemie“ und „ganzheitliche Heilmethode“. Dieses Image wird durch die beiden hier kritisierten Werke eher bedient als demontiert. Wer nur zwei Drittel des Films sieht, geht mit dem beruhigenden Gefühl schlafen, mit der nächsten Packung Globuli einer bewährten und unbedenklichen Medizin vertrauen zu können.
Die konkrete Kritik lautet also: Die Aufklärung gehört an den Anfang des Videos, sie soll deutlich, unüberhörbar und prominent platziert sein. Sie soll klar als Fakt daherkommen, nicht als leise geäußerte Gegenrede am Schluss.
Beiden Filmen gemein ist das Bemühen um journalistische Ausgewogenheit, was in politischen und gesellschaftlichen Debatten durchaus seine Berechtigung hat, bei wissenschaftlichen Themen jedoch zur „false balance“ missrät und Schaden anrichtet. Dann wird gesichertes Wissen als Meinung diskreditiert, als verhandelbare, gefühlte Wahrheit. Texte und Videos über Homöopathie, die diesem Muster folgen, sind schlechte Werke, da sie ihr Ziel meilenweit verfehlen.
Der heute-show gelang es jüngst, den Kern des Problems in einer Zeile zusammenzufassen:
“Patient bekloppt + Arzt bekloppt = Homöopathie”
Sich diesem Bewusstseinszustand mit der Vortäuschung freundlichen Interesses anzuwanzen, zwingt vorübergehend zu Selbstverleugnung, bewirkt aber keine Aufklärung. Denn eine derart verwässerte Botschaft erreicht die vernebelten Hirne der Adressaten nicht.
Liebe Journalisten: Traut Euch, Fakten als solche zu präsentieren. Homöopathie ist eine altertümliche, nutzlose und keinen einzigen Cent werte Pseudomedizin. Das ist keine bloße Meinung, und darum sollte man es auch klar so sagen.
- Richard Dawkins Stiftung: Das Problem der falschen Ausgewogenheit bei Wissenschaftsberichten
- Skeptical Raptor: Science deniers use false equivalence to create fake debates
- GWUP-Blog: Homöopathie: Live-Debatte zu ausgewählten Studien in Wien
- GWUP-Blog: SWR-Stellungnahme: „Wir können in der Berichterstattung über Homöopathie durchaus besser werden“
- The Guardian: Impartial journalism is laudable. But false balance is dangerous