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Masernimpfpflicht für Deutschland?

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Es ist eigentlich peinlich. Wie z.B. die Süddeutsche Zeitung berichtet, hat Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr eine Impfpflicht ins Gespräch gebracht, nachdem im ersten Halbjahr 2013 mehr als 900 Masernfälle in Deutschland gemeldet wurden. Auch andere Politiker und Gesundheitsexperten unterstützen ähnliche Regelungen, wie z.B. Jens Spahn, der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, der anmerkt, dass nur Geimpfte Kitas, Kindergärten oder Schulen besuchen dürfen.

Peinlich dabei ist aber nicht, dass diese Idee diskutiert und vielleicht umgesetzt wird – peinlich ist eher, dass es überhaupt soweit kommen musste. Die Masern hätten ja eigentlich schon bis 2010 aus Europa komplett verschwunden sein sollen, aber das hat leider überhaupt nicht funktioniert.

Propagandistische Darstellung aus impfgegnerischer Sicht

Impfgegner, die mit dem im englischen Raum sogenannten FUD-Prinzip, Fear (Furcht), Uncertainity (Unsicherheit) and Doubt (Zweifel) arbeiten, haben ihr Scherflein dazu beigetragen, dass uns diese Krankheit noch erhalten geblieben ist.

Dazu gehören immer noch allerlei Behauptungen: angefangen davon, dass die Impfung nicht schütze bis hin zu Horrorgeschichten, was sie alles verursache.

Wir von Psiram würden uns wünschen, dass die MMR-Impfung aus vernunftbasierten Überlegungen der Eltern durchgeführt wird, dass man sie gar nicht erst zwingen muss, ihre Kinder nach den Empfehlungen der Stiko impfen zu lassen. Es erscheint wie eine Niederlage, dass man gerade der Gruppe, die das Beste für ihre Kinder will, diese Auflage erteilen muss.

Wir haben zwar hier im Blog zwar schon gefühlt unendlich oft darüber geschrieben, aber hier noch ein paar Zahlen, die vielleicht zum Nachdenken anregen:

Blickt man in den letzten MMR-Jahresreport vom Mai, der den Zeitraum April 2012 bis März 2013 abdeckt, so sieht man ein klares Bild:

Masern

 

Erstens sind die Ungeimpften die klar durch die Masern Betroffenen, andererseits treten die meisten Fälle bei Kleinkindern unter einem Jahr auf, die noch nicht geimpft sind (die erste Masernimpfung wird mit 11-14 Monaten empfohlen, die zweite mit 15-23 Monaten).

Herdenimmunität
Das Problem, das hier ganz offensichtlich scheint, ist: Selbst eine Impfpflicht würde diese Kinder nicht schützen. Meint man. Das ist aber falsch. Ein Sinn hinter dem Ziel einer 95%igen Durchimpfung der Bevölkerung ist die Herdenimmunität. Wir haben schon einmal genau erklärt, was das ist.

Die Idee ist aber ganz einfach: Wenn alle um das Kind herum geimpft sind, kann der Erreger nie zu ihm gelangen, es wird also durch die Immunität in der Familie, durch seine Herde, effektiv geschützt. Die Idee hinter einer solchen Impfpflicht wäre also, dass man eine kritische Masse erreicht, bei der die Masern keine Chance haben.

Waldorfschulen
Im größten Teil der Bevölkerung ist der Impfschutz der Gruppe ja schon gar nicht mal schlecht. Aber er ist nicht gut genug. Das große Problem sind allerdings die Hochburgen der Impfgegnerschaft, wie z.B. die Waldorfschulen. Beim letzten Fall vor wenigen Wochen in Erftstadt erkrankten 29 Kinder und eine Erwachsene (insgesamt gab es im Landkreis nach bisherigem Stand 39 Fälle). Die Schule wurde kurzzeitig geschlossen.

Erste Meldungen sprachen von etwa 100 Geimpften, laut dem Schulleiter haben aber von den 395 Kindern sogar 211 sowie “fast alle Mitarbeiter” einen ausreichenden Impfschutz. Fast empört erklärt er, dass entgegen den Medienberichten die Impfquote bei 53% liegt.

Lieber Herr Schulleiter, dass ist trotzdem mager, da in Nordrhein-Westfalen die Impfquote bei 94,1% liegt. Laut dem Leiter des Gesundheitsamtes im Rhein-Erft-Kreis wurden einerseits Impfpässe nachgereicht, andererseits wurden wohl letzte Woche Impfungen nachgeholt. In Erftstadt herrschte nach dem Ausbruch rege Nachfrage nach dem Impfstoff.

Da dieser Vorfall bei weitem kein Einzelfall ist, haben wir den Hunderten in den letzten Jahren an Masern erkrankten Waldorfschülern sogar einen eigenen Artikel Masernausbrüche an Waldorfschulen gewidmet.

Bei den Scienceblogs zeigt man sich auch erschüttert: “Ideologische Impfgegner verschulden Masern in München und Berlin”. Bei der anthroposophischen Philosophie bzw. Medizin bleibt Tobias Maier einfach die Spucke weg.

Vielleicht sollte man mal mit einer Aufklärungskampagne an Waldorfschulen anfangen? Wie die GWUP schreibt, sind Waldorfschulen praktisch eine Brutstätte für die Masern. Man erreicht damit wohl die Klientel, die dieses Wissen am dringendsten braucht.

Und was die Impfpflicht angeht: Wenn man über Für und Wider einer Impfpflicht nachdenkt, werfe man einen Blick auf die obigen Diagramme und überlege, wie es wäre, ein wenige Monate altes Kind zu haben. Oder ein Kind, das aufgrund eines Immundefekts vielleicht nicht geimpft werden kann?

Die Masern gehen uns alle an, es gibt da keine individuelle Impfentscheidung.

Es wäre schön, wenn wir die Masern aus Europa vertreibe und langfristig vielleicht sogar an die Ausrottung denken könnten. Ein frommer Wunsch? Sicher. Aber nach Einschätzung der WHO erreichbar.


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