Quantcast
Channel: Psiram Blog
Viewing all articles
Browse latest Browse all 588

Wissenschaft: Oft wird das Ergebnis vorgegeben

$
0
0

Unter dem Titel „Gerichtsgutachten: Oft wird die Tendenz vorgegeben“ ist im Deutschen Ärzteblatt das Referat einer aktuellen Dissertation zu lesen. Unter ausdrücklichem Bezug auf den Fall ‚Gustl Mollath‘ heißt es im Untertitel: „Bei einer Befragung von Gutachtern gab etwa ein Viertel an, beim Gutachtenauftrag durch das Gericht eine Tendenz signalisiert bekommen zu haben.“ Und außerdem: bei der Frage nach dem Anteil der Gutachtentätigkeit an den Einnahmen liegt „[d]ie Gruppe der Psychiater … mit 28,0 Prozent (n = 14) über, die Gruppe der Psychologen mit 42,5 Prozent (n = 17) deutlich über dem Durchschnitt“, was den Zwischentitel „Wirtschaftliche Abhängigkeit“ rechtfertigt.

Erschütternd. Hier haben wir es schwarz auf weiß, mit Maß und Zahl belegt, seriös publiziert: die Gutachter sind gekauft. Entsprechend das Echo in der Presse: die Süddeutsche referiert die Meldung unter dem Titel: „Gerichte geben Gutachtern häufig Tendenzen vor“ und spricht, ebenso beiläufig wie selbstverständlich, von einer „Misere des Gutachterwesens“.

Werfen wir einen Blick auf die Zahlen. Tabelle 2. Auf die Frage „Wurde Ihnen bei einem Gutachtenauftrag schon einmal eine Tendenz signalisiert?“ antworteten von den Psychiatern

0,0% (n=0)

dass dies häufig geschehe, und einer der befragten 40 Psychologen bejahte die Frage. In Tabelle 3 dann das umgekehrte Bild: kein Psychologe und einer von 50 Psychiatern beantwortete die Frage „Haben Sie aus dem Kollegenkreis schon einmal gehört, dass eine Tendenz genannt oder eine Vorgabe gegeben wurde?“ mit „Ja, häufig“.

Die korrekte Version des Untertitels wäre gewesen: „Bei einer Befragung von Gutachtern gab etwa ein Viertel an, beim Gutachtenauftrag in Einzelfällen durch das Gericht eine Tendenz signalisiert bekommen zu haben.“ – Ob es die Meldung dann bis in die Süddeutsche geschafft hätte? Der Kunstgriff besteht einfach darin, die Tabellen-Spalten für „in Einzelfällen“ und für „häufig“ zusammenzufassen. Auf magische Weise übertragen sich dann die Zahlen, und aus Einzelfällen wird eine Tendenz. Wo ist die Misere? Welche Zahlen würde man für ein funktionierendes Gutachterwesen erwarten?

Die Betreuerin der Promotion, die Internistin Frau Prof. Dr. med. Ursula Gresser, ist nach Angaben der WELT in der Causa Mollath „eine der prominentesten Kritiker[innen]“. Sie handelt stets nach ihrem Motto

Die Leitlinien meines Lebens sind Anstand, Geradlinigkeit und Gerechtigkeit … die Menschenrechte verteidigen, Schwachen und Wehrlosen eine Stimme geben, Unrecht und Gewalt erkennbar machen
http://www.ursula-gresser.de/lebenslauf.html

Kleine Zuspitzungen sind da völlig gerechtfertigt. Schließlich geht es um die Gute Sache ™.


Viewing all articles
Browse latest Browse all 588