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Radikale Veganer – auf dem Weg zur VAF?

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Idealisten sind seltsame Menschen. Manchmal, zumindest.

Als viele von uns noch viel jünger waren, konstituierte sich eine Gruppe junger Menschen beiderlei Geschlechts, durchaus keine tumben Zeitgenossen: die Mehrzahl in den unterschiedlichsten Richtungen akademisch ausgebildet – Chemie, Medizin, Jurisprudenz, Soziologie, Pädagogik, Philosophie, Psychologie, Politologie, dazu eine profilierte Publizistin, einige Künstler;  Pfarrerstöchter sogar, fast alle aus „gutem Hause“. Politisch sozialisiert in einer Mischung aus christlichen Jugendgruppen und linksgerichteten Organisationen, einige in offener Rebellion gegen ein als reaktionär begriffenes Elternhaus, hatten sie sich hohe und höchste moralische Maßstäbe angeeignet, die alsbald in Allmachtsvorstellungen einmündeten. Nicht lange und man setzte sich auf dem Weg der Verwirklichung von Idealen des neuen, des wahrhaft freien und besseren Menschen über kleinliche bürgerliche Bedenklichkeiten hinweg, die nur als Auswüchse des „Schweinesystems“ verstanden werden durften. „Natürlich sind es Schweine“ – lautete schließlich die zynische Rechtfertigungsformel für Blutvergießen. Ganz am Anfang brannten nur zwei Kaufhäuser. Die Rede war, man kann es sich denken, von der RAF.

Vor ein paar Tagen tobte in Frankfurt am Main ein seltsamer Mob. Junge Leute beiderlei Geschlechts, offensichtlich nicht prekären oder bildungsfernen Gesellschaftsschichten entstammend, zogen um einen Häuserblock der Innenstadt, unweit der alten Börse. Hohe und höchste moralische Grundsätze trieben sie an, es ging nicht einmal (nur; nur?) um den Menschen, dessen Leib, dessen Seele: es ging zusätzlich um das, was offenbar als der bessere Mensch verstanden wird – ums Tier. Genauer: um dessen Verzehr, um dessen Verarbeitung zu Kleidung und anderen Dingen.

Nun kann man persönlich aus den beachtlichsten Gründen der Überzeugung sein und leben, dass man als Mensch auf Verzehr und sonstige Verwertung des Tiers und seiner Produkte verzichten sollte. Ich persönlich achte und respektiere das, selbst an meiner eigenen Gästetafel, an der Vegetarier und Nichtvegetarier ihren Platz haben und friedlich koexistieren (meistens reden wir über wichtigere Dinge als das). Etwas anderes ist es aber, wenn Moralität und Idealismus in totalitäre Allmachtsvorstellungen umschlagen. Und genau das passierte in Frankfurt.

Ein Ladengeschäft, das Pelzbekleidung anbietet, wurde blockiert, Sprechchöre wurden skandiert: „Schande, Schande, Mörderbande!“; ähnliche Szenen dann vor einem anderen Bekleidungsgeschäft, vor der Filiale eines amerikanischen Presskuh-Imbisses, vor einer Metzgerei; selbst ein Schuhgeschäft fiel den Rasenden zum Opfer, hier wurden Kunden am Betreten gehindert. Eier mit der Aufschrift “Mörder”; ein Fruchtgummi-Laden unter massivem Polizeischutz – man mag es sich kaum vorstellen. Nötigung und Beleidigung im Gros: legal, illegal, scheißegal – man kennt das, wenn’s um die allerhöchsten Werte geht, wer nimmt da schon Rücksicht auf Mördergesellen? Und für den Überbau gibt’s ja auch noch den passenden “Aufruf” im Internet.

Der Gesamtemanzipatorische Ansatz der Demonstration umfasst auch Themen wie Menschenrechte und Umweltschutz. Tierrechts- und Tierbefreiungsarbeit soll als Teil antikapitalistischen und herrschaftsfreien Denkens und Handelns verstanden werden.

Der neunmalkluge Befreiungssprech ist also auch noch der gleiche geblieben.

Seit ein paar Tagen fürchte ich mich ein wenig vor der Entfesselung dieser Idealisten, die mit mir über meine Schuhe reden wollen; mit ihren schrillen Parolen, ihren wütenden Mienen, ihren zum Sprechchor geschürzten Mündern, ihrer totalitären Moral, die im Andersdenkenden selbstredend den Mörder sieht – das „Schwein“ kann es in dieser seltsamen Moral ja nicht gut sein.

Ja, ein klein wenig fürchte ich sie – die Dämmerung einer Veganen Armee Fraktion.


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