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Raif Badawi – Jeden Freitag 50 Peitschenhiebe

Die Attentäter sind tot, Charb, Cabu, Tignous, Philippe Honoré, Georges Wolinski, Oncle Bernard und zahlose andere Menschen sind tot, viele schwer verletzt.

Und während es noch viel zu sagen gäbe, die Geschehnisse noch lange nicht aufgearbeitet sind, gibt es auch einen, der noch lebendig ist und nicht vergessen werden sollte: Raif Badawi, ein Blogger, der seit fast drei Jahren in Saudi-Arabien im Gefängnis sitzt.

Er wurde zu einer 10-jährigen Gefängnisstrafe und 1000, in Worten EINTAUSEND, Peitschenhieben verurteilt. Mit der Durchführung der Züchtigung wurde letzten Freitag begonnen und jeden folgenden Freitag, noch 19 Mal, soll er wieder ausgepeitscht werden.

Man kann sich gar nicht vorstellen, wie das ist: Fünfzig Peitschenhiebe bekommen. Und wenn man das ertragen hat, weiß man: Nächste Woche wieder. Und dann wieder. Und wieder. Und wieder.

Und warum? Weil er ein Terrorist ist und auf seiner Webseite die Meinung vertrat, dass Muslime, Juden, Christen und Atheisten gleichwertig sind. Deswegen wurde er zum Ungläubigen erklärt, für dieses “Vergehen” ist sogar die Todesstrafe möglich.

Nun wird sich der Leser fragen: Terrorist? Was? Wie bitte?

Nun, das lässt sich leicht mit der Definition von Terrorismus in Saudi-Arabien begründen. Terroristen sind nebst anderen Vergehen, jene die:

Artikel 1: „Atheistisches Gedankengut in jeglicher Form ausrufen oder die Grundsätze der islamischen Religion, auf denen dieses Land gegründet ist, in Frage stellen.”
Artikel 4: „Jeder, der [„terroristische”] Organisationen, Gruppen, Strömungen, Gesellschaften, Vereine, Verbände oder Parteien unterstützt oder Zugehörigkeit oder Sympathie mit ihnen demonstriert oder sie verbreitet oder Versammlungen unter ihrem Dachverband hält, innerhalb oder außerhalb des Königreiches; dies beinhaltet die Beteiligung an akustischen, schriftlichen oder visuellen Medien, sozialen Medien in seinen akustischen, schriftlichen oder visuellen Formen, Internetseiten; oder Weiterreichen ihrer Inhalte in jeglicher Form oder der Gebrauch von Slogans dieser Gruppen und Strömungen oder jegliche Symbole, welche auf Unterstützung oder Sympathie mit ihnen hindeuten.”
Artikel 6: „Kontakt oder Korrespondenz mit jeglichen dem Königreich feindlichen Gruppen, Strömungen oder Individuen.“
Artikel 8: „Das Bestreben, das soziale Gefüge oder den nationalen Zusammenhalt zu erschüttern oder Einberufen von, Teilnehmen an, Fördern von oder Anstiften zu Besetzungen, Sitzstreiks, Protesten, Versammlungen oder Gruppenkundgebungen jeder Form oder jeder, der der Einheit oder der Stabilität des Königreiches in jeglicher Weise schadet.“

Atheisten sind also per Definition Terroristen; wenn man mit Atheisten korrespondiert, ist man Terrorist. Wenn man (friedlich, Sitzstreik) protestiert, ist man Terrorist. Das ganze ist natürlich auch politisch motiviert, um andersdenkende zum Schweigen zu bringen.

Und es trifft nicht nur Raif Badawi. Seine Schwester war monatelang im Gefängnis; ihr Verbrechen ist es, Aktivistin der Kampagne “Frauen ans Steuer” zu sein. Sein Anwalt und Schwager Walid Abu al-Khair wurde April 2014 ebenfalls verhaftet und (unter anderem) zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt.

Sein Verbrechen? “Aufstachelung internationaler Organisationen gegen die Regierung” und “Treuebruch gegenüber dem Herrscher”.

Charlie Hebdo hätte wahrscheinlich mit spitzer Feder und ohne jeglichen Respekt auf Saudi-Arabien eingestochen, wir müssen es mit etwas weniger Talent versuchen.

Gedenken wir nicht nur der Toten. Gedenken wir auch der Lebenden.

Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut, das wir sagen und denken können, was wir wollen. Wir sind es gewohnt, dass wir uns frei ausdrücken dürfen, vielleicht vergisst man da, wie viel sie Wert ist.

Charlie Hebdo hat diese Meinungsfreiheit gelebt, sie ausgekostet und ausnahmslos alle, die es verdient haben, mit Satire bedacht.

Im Eingedenken an Charlie Hebdo darf man nicht nur rufen “Je suis Charlie Hebdo”, man muss sich auch selbst an die Nase fassen und diese Meinungsfreiheit verteidigen. Wenn man dieses Ereignis schrecklich findet, dann muss man versuchen die Freiheit des offenen Wortes (bei uns) zu erhalten und stärken. Und noch mehr: Sie auch in anderen Ländern einfordern.

Und weil es auch in den Blogkommentaren diskutiert wird: Auch Charlie Hebdo hat nicht die Gläubigen gleichwohl welcher Religion kritisiert, Charlie Hebdo hat die Fundamentalisten, die Radikalen, mit ihrem Bleistift festgenagelt.

Natürlich, wir hier haben uns den Realismus auf die Fahnen geheftet und man muss sich fragen, wie realistisch ist es, dass Raif Badawi freikommt, weil wir in Europa darüber schreiben, weil es uns ein Anliegen ist. Man kann einfach nur versuchen, ein lästiger Stachel zu sein. Wie es auch Charlie Hebdo war und hoffentlich weiterhin bleibt.

Ob das genügt? Keine Ahnung. Aber es gibt immer ein Quäntchen Hoffnung.

Beginnen muss es allerdings bei uns. Den Holzhammer wird es nicht geben. Man kann nur den Menschen unsere Kultur vorleben und dann können sie sich entscheiden, was ihnen lieber ist.

Und es gibt auch immer wieder positive Meldungen – naja, wir fassen sie mal so auf:
Der Journalist und Blogger Hamsa Kaschgari stand wegen 3 Tweets vor der Steinigung und verbrachte fast 2 Jahre im Gefängnis, bevor er im Herbst 2013 freigelassen wurde. Er twittert sogar wieder:

Am 29. Dezember schrieb er (mit Hilfe von google translate):
Ich kann mit jedem Gefühl umgehen, im Gefängnis zu sein, aber plötzlich mitten in der Nacht im Gefängnis aufwachen, wegen meiner Besorgnis und Angst um meine Mutter und meiner Angst vor dem Verlust, und keine Möglichkeit, sie zu erreichen.

Alber Saber wurde in Ägypten zu drei Jahren Haft verurteilt. Er konnte Ägypten während seines Berufungsverfahrens verlassen.

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Die Freiheit die wir meinen

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Und wenn man sich stärker für das Thema interessiert, kann man ja den Freedom of Thought Bericht konsultieren, der Gedankenverbrechen weltweit katalogisiert.
Man findet den Report hier

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