Wir möchten unsere Leser auf ein Angebot auf dem Psychomarkt aufmerksam machen, das seitens kritischer Projekte zu wenig Beachtung findet: die Psychology of Vision. Dieses Unternehmen ist in mehreren Ländern aktiv: Kanada, VR China, Singapur, Taiwan, Japan, Großbritannien, D-A-CH, Hawaii. Gegründet wurde PoV von Charles „Chuck“ Spezzano und seiner Frau Lenora „Lency“, US-Bürgern aus Hawaii.
Spezzanos Lebenslauf ist etwas gewunden: zunächst studierte er Theologie, trat einem Orden bei, legte auch erste Gelübde ab und studierte Philosophie und Psychologie, die er mit einem Bachelor abschloss. Danach verließ er den Orden und setzte sein Studium in San Diego fort, wo er einen Doktortitel in Beratungspsychologie erwarb. Ende 1979 eröffnete er eine eigene Praxis als Ehe- und Familienberater. Entsprechend lässt sich eine Lizenz in California ermitteln, die aber 1990 auslief; in Hawaii, wo Spezzano seit Anfang der 1980er lebt, beantragte er keine Lizenz als Berater. Statt dessen begann er mit Psychology of Vision, in deren Hintergrund eine Firma „Spezzano & Associates Ltd.“ steht.
Schaut man das Angebot an Seminaren an, fällt zunächst auf, dass PoV-Veranstaltungen eigentlich überall stattfinden – in den USA aber nur auf Hawaii. In den anderen 49 Bundesstaaten: Fehlanzeige. Dies mag Gründe haben.
Im deutschsprachigen Raum wird Spezzano als Beziehungsexperte hochgelobt und will uns beibringen, wie wir Partnerschaften wieder kitten bzw. überhaupt erstmal eine finden. Hierzu gibt es alljährlich zweimal Vortragsreisen in mehrere europäische Länder, bei denen Spezzano die Zuhörer so hemmungslos zum Heulen bringt, dass die Veranstalter vorher lieber auf jeden Platz im Saal eine Packung Kleenex stellen. Alternativ kann man noch lernen, wie man mit wirklich jedem auskommt (wollen wir das eigentlich?) und flankierend können etliche Kartensets erworben werden. Bücher, DVDs, Tarotkartensets, Audiobücher werden über eigene Onlineshops und Webseiten sowie über Amazon reichlich angeboten.
Die Veranstaltungen mit kollektivem Schluchzen werden in Deutschland z.B. vom Frankfurter Ring und vom Online-Portal KGS organisiert und beworben.
Bis hierhin also nichts Aufregendes. Halt ein weiterer Anbieter, der mit Vorträgen, Seminaren und Devotionalien von Mauerblümchen und Beziehungsgeschädigten beiderlei Geschlechts leichtes Geld einstreicht?
Aber die Masche mit dem Beziehungskram ist nur der Köder zum Einstieg in ein Pyramidensystem. Der Kunde möchte doch bitteschön ein „100-Tage-Programm“ buchen, womit 100 Seminartage bei PoV gemeint sind, die innerhalb von fünf Jahren abzureißen sind, sonst wird man leider, leider eben nicht „100-day graduate“. Zusätzlich ist die Teilnahme an 10-Tages-Seminaren mit „Chuck und Lency“ Pflicht, von denen jährlich mindestens eines in Hawaii zu besuchen ist. Auf höheren Ebenen werden auch Seminare in Thailand und Indien Pflicht.
Weitere Langzeitprogramme sind „Steps to Leadership“, „Mastery“, „Apprenticeship“ und „Trainer-Programm“; nebenher gibt es noch „normale“ Seminarangebote, von denen einige für die „100 Tage“-Absolventen in Frage kommen. Wer Nachhilfe braucht, besucht z.B. die Abendveranstaltungen „Freunde helfen Freunden“. Wie heißt es so schön: beim Geld hört die Freundschaft auf – also kostet der Abend ca. € 30 Eintritt. Auch für allgemeine Info-Abende sind Eintrittskarten à € 30 fällig. Da verwundert es nicht mehr, dass z.B. zehntägige Seminare schon mal mit $ 4.000 zu Buche schlagen – selbstverständlich sind in diesem Preis Kosten für Unterkunft, Verpflegung und Reise nicht enthalten.
Wem jetzt bei den verschiedenen Programmen ein wenig die Übersicht entglitten ist: das scheint nicht unbeabsichtigt. Wird doch das „Mastery“-Programm einerseits dargestellt als Alternative für PoVler, die nicht Trainer werden wollen, gilt es andererseits aber doch als Voraussetzung für eine Trainerbewerbung. Also am besten einfach alles von A-Z runter durchbuchen, da kann der Kunde nix verkehrt machen. Für gebremste Schnellmerker gibt es übrigens bei vielen Seminarpreisen noch ein wundervoll dezentes Zaunpfählchen: Wiederholer bekommen Rabatt! Nicht zu vergessen sind auch die leicht reduzierten „Paar-Preise“ – wenn man die Kundschaft dazu bewegt, den Partner zu schanghaien, hält das Ruhe im Laden (der Partner wird dann keine unbequemen Gedanken zu PoV äußern) und man hat gleich zwei Kunden an der Angel.
Insbesondere die „Steps to Leadership“ zielen auf Geschäftskunden ab – vor allem Selbständige, Freiberufler, Manager, die dann PoV in ihrem Betrieb, bei Mitarbeitern und Kunden bewerben und anwenden sollen. An wen erinnert uns das doch gleich?
Das Trainer-Programm nimmt die Absolventen langfristig an die Leine: die Bekanntgabe der geplanten Bewerbung muss mindestens ein Jahr vor der Bewerbung erfolgen. Wer diese Ausbildung schließlich hinter sich gebracht hat, darf sich als regelmäßiger Zahler einreihen: die Trainerlizenz muss jährlich bezahlt werden; es gibt vier Level mit Gebühren zwischen $ 5.000 bis $ 8.000. Jährlich, wohlgemerkt – und es gibt offenbar über 50 Trainer, davon vier „Master-Trainer“ mit dem jährlichen Kurs à $ 8.000. Das ergibt ein durchaus kommodes Einkommenspolster – für Herrn Spezzano. Und erst als Trainer kommt der Absolvent bei PoV selbst ein wenig ans Geldverdienen. Vorher darf man jede Menge kostenpflichtige Seminare besuchen und seine Arbeitskraft und Geld als „Facilitator“ freiwillig für die Organisation von Seminaren zur Verfügung stellen, die von anderen geleitet werden. Wieviel Geld unterm Strich bei einem Trainer hängenbleibt, ist eine andere Frage, denn natürlich gibt es wiederum jährliche, halbjährliche etc. Seminare in wunderschönen Weltgegenden (Thailand, Indien, Hawaii), die für Trainer Pflichtveranstaltungen sind.
Ferner ist noch eine Spezialität von Lency im Angebot: das Joining. Es gibt divergierende Erklärungen mit viel Geschwurbel und den üblichen Flatulenzsalven (uralte Heilungsmethode – Kraft der Liebe – Vergebung – Gnade – blockierende Gefühle – „Lencys wahrgewordener Traum“ etc.), die offenbar möglichst viele Kunden ansprechen sollen. Bei YouTube stehen etliche Videos von Joining-Vorführungen mit Lency Spezzano zur Verfügung: Seminarteilnehmer werden einzeln nach vorne zu Lency gebeten, die unter heftigem Gestikulieren auf das Joining-Opfer einredet und diesem eintrichtert: „Schau in mein rechtes Auge!“ Teilweise läuft das Joining ohne Worte, aber unter Höchsteinsatz diverser Grimassen von Lency (insbes. ab 6:00), von denen die eindrucksvollste und häufigste das Zähneblecken mit Haifischgrinsen ist. Wer diese Show für Bühnenhypnose hält, liegt nicht so fürchterlich daneben … Dies ist auch hier gut zu beobachten; bei der Bühnenpartnerin handelt es sich nicht um eine Kursteilnehmerin, sondern um eine hochrangige PoV-Trainerin aus Kanada.
Kanada ist allerdings ein interessantes Thema im Zusammenhang mit PoV, das wir in Teil II näher beleuchten wollen.