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Psychology of Vision III –“Wir kriegen euch alle”: Multitasking im Pyramidensystem

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Wie wir bereits gesehen haben, setzt PoV mehrere Strategien ein, um Kundschaft anzulocken und zu binden. Mit den bereits erwähnten „Steps to Leadership“ wird vor allem in Kanada, aber auch in Deutschland und der Schweiz ein gut verdienendes Publikum aus der Wirtschaft angesprochen bzw. Personen, die sich für Führungsaufgaben qualifizieren möchten.

Chuck&Lency sind dankbar, dass sie genug zu essen haben

Chuck&Lency sind Deutschland dankbar, dass sie genug zu essen haben

Jedoch ist auch Staatsknete immer willkommen. Eine Anbieterin aus Nordrhein-Westfalen veranstaltet einen Steps-To-Leadership-Kurs an sieben Wochenenden sowie einem Samstag. Die Preisstaffelung beträgt € 1.390 als Einzelpreis, ein Paarpreis von € 1.200 pro Person sowie € 1.000 für Erwerbslose. Zusätzlich wird auf Zuschussmöglichkeiten hingewiesen:

Das Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes NRW gewährt bei vorliegen [sic] der Voraussetzungen für die Weiterbildung einen Zuschuss durch einen Bildungsscheck oder das Bundesministerium für Bildung und Forschung bei Vorliegen der Vorrausetzungen [sic] eine Bildungsprämie. […]
Das POV-Grundlagentraining ist durch das Land NRW für dieses Programm anerkannt. Das Angebt [sic] ist bei den Beratungsstellen bekannt.[1]

Was hat ein nicht anerkanntes, nicht validiertes Schneeballsystem ohne Peer Review, das sich mithilfe einiger Schlagworte einen pseudowissenschaftlichen Anstrich geben möchte, mit Bildung zu tun? Wie kann ein Landesministerium eine derartige Schwurbelei anerkennen? Werden im Ministerium auch mal die Hausaufgaben gemacht? Es fällt schwer, dies zu glauben – vor allem, wenn man sich die Beschreibung von PoV auf der Webseite der Kursanbieterin ansieht:

„Psychology of Vision ist ein von Dr. Chuck und Lency Spezzano entwickeltes bahnbrechendes Heilungsmodell, bei dem modernes psychologisches Know-how verbunden mit der menschlichen Gefühlswelt wirkt. Es zeigt klar und deutlich, wie unsere innere und äußere Welt miteinander verbunden sind, was uns die Kraft der Entscheidung zurück gibt, unser Leben zu ändern, aktuelle Herausforderungen zu erkennen und zu bewältigen.

Psychology of Vision setzt sich mit zwei Haupt-Elementen unseres Lebens auseinander: unseren Beziehungen und unserer persönlichen Eigenverantwortung.“[2]

Heilungsmodell? Beziehungen? Gefühlswelt? Bekommen wir in NRW auch einen Bildungsscheck für ein Jodeldiplom bei Loriot? (Wobei – Da hat man doch was Eigenes – das Loriot-Diplom vermutlich um Längen qualifizierter war.)

Neben den Steps To Leadership existiert ein weiteres Programm, bei dessen Darstellung auf den PoV-eigenen Webseiten bzw. den Seiten der anbietenden Trainer nicht deutlich wird, ob dieses „offiziell“ als PoV gilt oder nur ein tolerierter Nebenzweig ist, mit dem Trainer selbst ein bisschen Geld verdienen dürfen; auf der PoV-eigenen Webseite wird es jedenfalls neben anderen PoV-Programmen propagiert. Es handelt sich hierbei um „VisionWorks“, das ursprünglich von der englischen PoV-Trainerin Sue Allen entworfen wurde. Dieses Programm will PoV-Methoden in Schulen anwenden. Auch wenn die angeblichen Vorteile für die Schüler betont werden, richtet sich das Programm dennoch in erster Linie an Lehrerkollegien und Schulleitungen, die entsprechende Kurse absolvieren sollen, um als Multiplikatoren zu wirken und weitere Absolventen in Kurse zu schleusen.

Die englische VisionWorks-Seite listet insgesamt 17 Schulen auf, die nach diesem Programm arbeiten; auf deutschsprachigen PoV-Seiten findet sich keine entsprechende Liste, aber eine Schule veröffentlicht auf ihrer Webseite, dass sie VisionWorks in den 5. Klassen anwende.

Ein Hamburger Kindergarten wendet ebenfalls PoV an, obwohl zumindest VisionWorks erst ab einem Alter von 10 Jahren empfohlen wird. Von den im Branchenverzeichnis Cylex gelisteten 16 Schlagworten im Kurzprofil sind acht eindeutig PoV zuzuordnen; diese sind durch Großbuchstaben hervorgehoben. Dieser Kindergarten wirbt insbesondere mit seinem Angebot an Fremdsprachen; interessant wäre, ob den Eltern klar ist, dass ihre Kinder dort offenbar zusätzlich an ein Pyramidensystem mit eigenen sprachlichen Neudefinitionen herangeführt werden.

Kita Chefin vor Gericht

Chuck & Lency sind auch ihr dankbar, dass sie genug zu essen haben

Eine Mitarbeiterin des Kindergartens stand jedoch 2014 wegen Veruntreuung vor Gericht, weil sie in den Jahren 2007/2008 für diverse Esoterikseminare über € 41.000 aus der Firmenkasse ausgegeben hatte, was das Finanzamt offenbar veranlasste, die Steuerfahndung vorbeizuschicken. Diese Seminare hatten Titel wie „Restoration of Love“, „Alles ist Beziehung“ oder „Heilung des Inneren Kindes“ und fanden in Malaga und Honolulu statt.[3] Tatsächlich bot PoV in diesem Zeitraum z.B. ein entsprechendes Seminar „Restoration of Love“ an, das in Malaga stattfand; PoV-Schüler sind darüber hinaus zur Teilnahme an mindestens einem Seminar jährlich in Honolulu verpflichtet. Vor Gericht mochte die Mitarbeiterin auch Jahre später noch argumentieren, dass die Seminare angeblich der Persönlichkeitsentwicklung dienten und beharrte, sie habe ihre Entscheidung zum Wohle der Kinder gefällt.

Und auch sonst geht einiges nach dem Motto: „Legal – illegal – ganz egal“. Die als Kundenkontakt genannte Person auf der deutschen Webseite von VisionWorks stellt dort deutlich heraus, dass sie an der Universität Frankfurt beschäftigt ist: „Sie ist Leiterin einer Weiterbildungs- und Dienstleistungseinrichtung an der Goethe-Universität Frankfurt.“[4] Sie gibt sogar ihre universitäre Dienstanschrift als Kontaktadresse für VisionWorks-Interessenten an. Das heißt, dass sie ihre berufliche Position nutzt, um ihre Aktivitäten bei VisionWorks zu fördern – auf ihrer beruflichen Webseite erwähnt sie PoV dagegen nicht. Und offenbar an ihrem Arbeitsplatz genug Zeit hat, den Nebenjob gleich mit zu erledigen. Immerhin ist die Dame im Öffentlichen Dienst angestellt, da hoffen wir doch, dass der Arbeitgeber diese Nebentätigkeit auch genehmigt hat und noch mehr, dass diese auch im Einklang mit den Fakten geschildert wurde; allerdings wird der Arbeitgeber davon ausgehen, dass der Nebenjob nicht in die bezahlte Arbeitszeit fällt. Ein öffentlicher Arbeitgeber im Bildungsbereich und eine Nebentätigkeit in einem Pyramidensystem mit totalitären Anklängen (siehe unten) ist jedenfalls keine gelungene Kombination.

Auch in einem weiteren Fall nutzt eine deutsche Trainerin Level 1 ihre berufliche Tätigkeit als Betreuerin, um ihr Kursangebot für PoV aufzuwerten und führt Kurse auch in den Räumlichkeiten ihres Betreuungsbüros durch. Nach eigener Darstellung setzt diese Trainerin in den von ihr geleiteten Kursen und Seminaren „Techniken (z. B. Aufstellungen, Kartenlegen, Energiearbeit mit Engeln, etc.)“ ein, mit denen „ein Heilfeld in dem körperliche, geistig-seelische Blockaden gelöst werden können“ geschaffen werde. Ja sicher. Wenn wir einmal betreuungsbedürftig werden, möchten wir am liebsten eine (gerichtlich bestellte!) Betreuerin, die uns die Karten legt, um zu entscheiden, ob wir weiterhin im eigenen Haus wohnen dürfen oder ins Heim kommen. Da leuchtet doch die Seriosität aus jedem Knopfloch. Diese Trainerin erwähnt in ihrem Profil auf der PoV-Webseite ferner, dass sie ebenfalls eine Ausbildung als NLP-Trainerin habe.

Natürlich ist VisionWorks wie auch PoV nicht wissenschaftlich anerkannt; Peer Reviews oder eine Supervision gibt es nicht. Obwohl das Programm nach Eigendarstellung von Lehrkräften entwickelt wurde, finden sich auf der Webseite Aussagen, dass es für „Kinder im Alter von 7 bis 10 Jahren, also ab der 5. Klasse“ geeignet sei[5]. Es fällt schwer vorzustellen, dass Lehrkräfte offenbar so wenig Ahnung davon haben, wie alt Schüler in welcher Klassenstufe sind.

Aussagen zu Programminhalten sind vage gehalten und stellen sich eher als Universalschlüssel dar:

Das Verhalten im Unterricht wird sich verbessern, bessere schulische Resultate und stärkere Bindungen. Kollegium und Schüler werden sich weniger unter Stress fühlen. Die Schulgemeinschaft wird glücklicher.

Sie werden erleben, wie sich das Verhalten im Unterricht durch gesteigertes Selbstwertgefühl und besseres Selbstmanagement verbessert. Beziehungen im Kollegium werden sich deutlich verbessern. Klassen werden ruhiger, daher wird sich das Lernen bei allen verbessern.

In diesem Seminar werden wir die Ursachen des Verhaltens genau erkennen und aufzeigen, wie einfache Strategien Schülern ein neues Bewusstsein und Kraft für eine steigende Zahl von positiven Entscheidungen bezüglich ihres Verhaltens sowie wirksamere Wege ermöglichen, sich selbst und ihr Verhalten zu managen.

Neben bloßen Versprechungen (alles wird guuuuut besser) auch noch „einfache Strategien“ und Instantlösungen auf dem Abkürzungsweg anstelle von Entwicklungsprozessen. Dahinter steht ein mechanistisches Menschenbild, bei dem der gleiche Input in jedem Fall in derselben Zeit zum gleichen Output führen muss – wenn nicht, liegt der Fehler nicht im System, sondern beim Anwender (mehr Workshops, mehr Seminare…).

Gestresste Lehrkräfte werden mit den folgenden Slogans angesprochen:
„Optimierung der Klassenlehrerstunde durch einfache, sofort nutzbare Module
Verbesserung des Verhaltens und der Toleranz der Schüler
Etablierung einer gemeinsamen Sprache, um Konflikte und Meinungsunterschiede zu handhaben.“
[6]

Hier wird es nun gänzlich finster: „Optimierung“ mit „einfache[n] Module[n]“ bildet wiederum das mechanistische Menschenbild ab, aber das Etablieren einer gemeinsamen Sprache läuft letztlich darauf hinaus, diejenigen aus der Kommunikation auszugrenzen, denen diese gemeinsame Sprache aus umdefinierten Begriffen nicht geläufig ist – sowie darauf, dass die Anwender dieser Sprache aufgrund der Umdefinierungen nicht mehr problemlos mit Außenstehenden kommunizieren können, so dass Außenkontakte oftmals allmählich heruntergefahren werden. Und Konflikte und Meinungsunterschiede sollen „gehandhabt“ werden – offenbar lässt da Scientology grüßen! Wie sich die Toleranz der Schüler verbessern soll, wenn Meinungsunterschiede und Konflikte noch vor dem Entstehen aufgelöst werden sollen, kann ebenfalls nicht erläutert werden (man kann natürlich leicht tolerant sein, wenn alle dieselbe Meinung haben).

Dies läuft den offiziellen Bildungszielen zuwider, nach denen Schüler auf das Leben in einer demokratischen und pluralistischen Gesellschaft vorbereitet werden sollen, in der Meinungsunterschiede normal sind und auch ausgehalten werden müssen und Konflikte ebenfalls nicht „gehandhabt“ werden, sondern Lösungen aktiv zu erarbeiten sind, die möglichst alle einschließen. Kinder und Jugendliche werden somit bei VisionWorks einem Programm ausgesetzt, das totalitäre Strategien anwendet und als Fortschritt propagiert. Hiermit stehen die Anbieter von VisionWorks jedoch nicht mehr auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.

Bei Scientology hat dies dafür gereicht, dass die angebliche Kirche von unseren Schlapphüten beobachtet wurde. Diesen Anspruch erhebt PoV zwar nicht, ist aber mit der Selbstdefinition „sowohl Heilungsmodell wie auch eine globale Gemeinschaft von Menschen, die dieses Modell lehren und praktizieren“ offenbar bereits auf dem langen Marsch. Globale Gemeinschaft? — „… und morgen die ganze Welt“?


[1]http://jeanette-weyer.de/8.html

[2]http://jeanette-weyer.de/8.html

[3]http://www.mopo.de/nachrichten/kita-chefin-veruntreut-41000-euro—honolulu-jutta–und-ihre-esoterik-trips,5067140,28044226.html, http://www.bergedorfer-zeitung.de/bergedorf/article131237073/Prozess-Kita-Chefin-Jutta-L-lehnt-Deal-ab.htm

[4]http://www.vision-works.org/wer-wir-sind/

[5]http://www.vision-works.org/was-ist-vision-works/was-ist-vision-works-programme/

[6]http://www.pov-int.eu/uber-uns/visionworks-%E2%80%93-das-schulprogramm/


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