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Greenpeace macht Stimmung gegen Pestizide
Pestizide in Lebensmitteln: kaum ein anderes Thema sorgt mehr für Verunsicherung und latente Ängste bei Nahrungsmitteln, möchte man sich doch gesund ernähren und nicht durch Lebensmittel vergiftet werden. Einer der wichtigsten Gründe, warum pflanzliche Lebensmittel aus biologischem Anbau bevorzugt werden, ist eine vermeintliche Pestizidfreiheit. Pestizide gelten als Sinnbild einer an Profit orientierten Landwirtschaft, in der Erträge und Umsatz höher gewichtet werden als der Schutz von Mensch und Umwelt. Sie sind zu einem Synonym für verantwortungslosen Umgang mit der Natur geworden, sind sie doch scheinbar unnatürlich, chemisch und damit „problematisch“. Unter dieser Prämisse werden sie von den meisten Umweltschutzorganisationen abgelehnt. Neuerdings setzen auch die Grünen verstärkt auf dieses Thema, der BUND e.V. nutzt das Thema gerne, um Stimmung gegen die moderne Landwirtschaft zu machen. Warum diese Vorstellungen falsch sind und die Risikowahrnehmung in Bezug auf Pestizide verzerrt ist, wollen wir anhand der pflanzlichen Pestizide zeigen.
Chemie, von der Natur produziert
Zunächst einmal muss man sich vergegenwärtigen, was mit dem Begriff Pestizid überhaupt gemeint ist. Wikipedia definiert Pestizid allgemein als:
Bezeichnung für chemische Substanzen, die lästige oder schädliche Lebewesen töten, vertreiben oder in Keimung, Wachstum oder Vermehrung hemmen.
Etwas drastischer formuliert es der BUND:
Ja, Pestizide sind keine harmlosen Substanzen, sie dienen der Tötung oder Unterdrückung von Organismen, um anderweitigen Schaden abzuwenden. Im Bereich der pflanzlichen Pestizide geht es vor allem darum, Fraßfeinde zu vergraulen oder zu töten, Konkurrenz („Unkraut“) zu unterdrücken und vor allem Pilzinfektionen zu bekämpfen. Dies dient in erster Linie der Sicherung und Steigerung des Pflanzenwachstums und der Fruchtbildung.
Aber nicht nur der Landwirt profitiert von solchen Pestiziden, es sind – so banal das klingen mag – vor allem die Pflanzen selbst, denen die Pestizide nützen. Es fällt auf, dass die allermeisten Definitionen von Pestiziden nicht über deren Ursprung aufklären, es wird allenfalls erwähnt, es handele sich um „chemische Stoffe“.
Dabei produzieren Pflanzen selbst eine Menge schädlicher Substanzen – nicht nur, um sich vor Fraßfeinden zu schützen. Pflanzen wollen eben auch nicht gefressen werden und da sie nicht weglaufen können, haben sie geschickte Strategien zur Verteidigung entwickelt, zu denen auch die Giftstoffe gehören. Es fallen einem sicher schnell Beispiele ein, welche Pflanzen oder Früchte man lieber nicht essen sollte. Tollkirschen etwa enthalten hauptsächlich das Toxin Hyoscyamin, daneben aber auch beachtliche Mengen Solanin, wie viele Pflanzen aus der Familie, zu der beispielsweise auch die Tomaten und der Tabak gehören. Pflanzen mit hohen Mengen – für den Menschen giftigen – Verbindungen werden als Giftpflanzen bezeichnet, was klar zum Ausdruck bringt, dass sie für den menschlichen Verzehr nicht geeignet sind.
Auch Nahrungspflanzen enthalten pflanzliche Giftstoffe. In Holdunderbeeren ist das giftige Glycosid Sambunigrin enthalten, welches aber durch Kochen unschädlich gemacht werden kann. Gleiches gilt für das Phasin in vielen Hülsenfrüchten. Schädliche Oxalsäure ist in erheblichen Mengen in Rhabarber und Roter Bete enthalten. In Anis und Fenchel findet sich Estragol, in Tonkabohne und Waldmeister Cumarin und Pyrrolizidin-Alkaloide u.a. im Borretsch. Furocumarine sind in vielen Zitrusfrüchten und z.B. auch im Sellerie und in Petersilie enthalten. Dies können nur einige Beispiele sein, geht die Zahl der in Pflanzen gefundenen Stoffe, die schädliche Wirkungen auf andere Organismen haben, doch in die Tausende. Sie zeigen aber, dass der Begriff Pestizid nicht allein auf synthetische Stoffe reduziert werden kann.
Der amerikanische Biochemiker Bruce Ames hat schon vor knapp 25 Jahren darauf hingewiesen, dass natürliche Pestizide etwa 99,99 % aller in der pflanzlichen Ernährung vorkommenden Pestizide ausmachen. Die Liste der gefundenen Stoffe in den verschiedensten Pflanzen ist lang und voller kompliziert klingender Namen. Sie finden sich in beinahe allen Pflanzen in unterschiedlichen Mengen. Auch wenn es sich um Naturstoffe handelt, sind sie eben auch Chemikalien, nur dass sie auf biochemischen Wege entstanden sind. Dies sagt aber wenig über ihre Schädlichkeit aus.
Natur bedeutet nicht automatisch harmlos
Etwa 50% der darauf untersuchten natürlich vorkommenden Pflanzenpestizide erweisen sich im Tierexperiment als krebserregend. Dies entspricht in etwa dem gleichen Verhältnis, wie es für die synthetischen Pestizide festgestellt wurde. Dabei sind bei weitem nicht alle in Pflanzen vorkommenden Pestizide untersucht. Zum einen, weil die Anzahl beinahe unüberschaubar ist, zum anderen, weil sie als natürliche Bestandteile der Pflanze erst einmal nicht primär verdächtig sind. Neben der krebserregenden Wirkung sind in Fütterungsstudien auch erbgutverändernde (mutagene), embryonalschädigende (teratogene) und organschädigende Wirkungen beobachtet worden. Das deutet schon an, dass der Säugetier-Organismus nicht unbedingt besser mit natürlichen Pestiziden umgehen kann. Es scheint ein weit verbreiteter Irrtum zu sein, der Mensch hätte sich im Laufe der Evolution besser an natürliche Giftstoffe anpassen können. Dagegen sprechen eine Reihe von Erkenntnissen:
- Die Mechanismen, mit denen der menschliche Körper mit Giften umgeht, um diese unschädlich zu machen, sind nicht spezifisch auf bestimmte Stoffe zugeschnitten, sondern allgemeinerer Natur. So reparieren die DNA-Reparatur-Enzyme Schäden verschiedenster Ursachen. Entgiftungs-Enzyme der Leber sind ebenso nicht auf bestimmte Stoffe, sondern vielmehr auf bestimmte Stoffklassen bzw. funktionelle Gruppen eingerichtet. Diese Generalisierung ist evolutionär eher günstig, da somit auf unterschiedliche und neue Schädigungen durch die Nahrung flexibel reagiert werden kann.
- Natürliche Toxine sind krebserregend, obwohl sie häufig in Lebensmitteln vorkommen und auch schon lange Begleiter des Säugetiers sind. Dies wird besonders an den Schimmelpilzgiften, den Aflatoxinen, deutlich, die quasi allgegenwärtig sind, aber nichts desto trotz ein sehr hohes kanzerogenes Potential haben.
- Die Art und die Zusammensetzung menschlicher Ernährung hat sich insbesondere in den letzten Jahrhunderten zum Teil dramatisch geändert. Viele neue Pflanzen und Früchte sind zusätzlich auf dem Speisetisch gelandet, damit auch viele neue Toxine. So enthalten alle Nachschattengewächse, zu denen – wie erwähnt – auch die Tomaten und Kartoffeln gehören, das giftige Solanin. Viele exotische Früchte enthalten Substanzen, die sich ebenfalls als karzinogen herausgestellt haben. Evolutionäre Anpassung an eine solch schnelle Änderung der Nahrungszusammensetzung ist aber nicht möglich.
- Viele Pflanzen und deren Früchte sind durch neue Züchtungen überhaupt erst genießbar, was etwa an den vielen Kohlarten deutlich wird. Die Züchtungen zielen auf einen niedrigeren Toxingehalt ab, was aber mit einer verminderten Resistenz gegen Schadorganismen einhergeht. Die oft gepriesenen „alten Sorten“ verfügen nicht selten über einen erheblich höheren natürlichen Pestizidgehalt, was sie zwar resistenter gegen Krankheiten und Schädlinge macht, aber eben auch wesentlich unverträglicher.
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Ryanodin, ein natürliches Insektizid, das auch in geringen Dosen für den Menschen gefährlich ist
Der letzte Punkt macht auch deutlich, warum die moderne Landwirtschaft kaum ohne zusätzliche Pestizide auskommt, selbst der biologische Landbau kommt nicht ohne aus (und verwendet dabei z.T. recht umweltschädliche Substanzen). Pestizideinsatz ist nicht nur eine Folge des Intensivanbaus, er ist eine Notwendigkeit, weil unsere Kulturpflanzen auf Verträglichkeit gezüchtet wurden. Der Landwirt übernimmt einfach das, was der Kulturpflanze abhanden gekommen ist.
Was Paracelsus schon wusste
Da wir hier bei Psiram sind, vergessen wir natürlich nicht, den ersten Grundsatz der Toxikologie zu erwähnen: Die Dosis macht das Gift! Dieser einfache Satz erklärt auch die vielen Missverständnisse, die im Zusammenhang mit Giften kursieren. Die niedrigen Gehalte an natürlichen – wie auch an synthetischen – Pestiziden in der Nahrung sind in aller Regel keine gesundheitliche Bedrohung. Es wird geschätzt, dass ein US-Amerikaner im Durchschnitt etwas 1500 mg pro Tag an natürlichen Pestiziden aufnimmt, die synthetischen Pestizide mit nur 0,09 mg machen im Vergleich dazu nur eine verschwindend geringe Menge aus. Schädliche Wirkungen werden bei den allermeisten Stoffen – ob natürlich oder synthetisch – wenn überhaupt, dann erst in wesentlich höheren Mengen festgestellt.
Die Hinweise, ob von Stoffen gesundheitliche Gefahren ausgehen, werden zumeist in Fütterungsstudien an Labortieren ermittelt. Dabei werden sehr hohe Dosen (maximal tolerierbare Dosis) der untersuchten Stoffe über einen sehr langen Zeitraum verfüttert. Durch welche Mechanismen es bei manchen Substanzen zu einer krebsfördernden Wirkung kommt, ist damit aber noch nicht geklärt. Krebserregende Substanzen können – müssen aber nicht – erbgutverändernd (mutagen) sein, was einen Hinweis auf die krebserzeugende Wirkung gibt. Es wird aber auch vermutet, dass allein die hohen Dosen, die mit der Nahrung verfüttert werden, eine Ursache sind. Hohe Konzentrationen an schädlichen Substanzen können chronische Entzündungen in Geweben auslösen, was ebenfalls zu Zellentartungen führen kann. Ob die sehr niedrigen Gehalte an schädlichen Substanzen ebenfalls solche Prozesse induzieren, ist strittig.
Pflanzen produzieren vielfältige Stoffe (sekundäre Pflanzenstoffe), neben für uns schädlichen Substanzen auch gesundheitsfördernde und krebsvorbeugende Substanzen. Diese heben nicht nur die schädigenden Wirkungen der natürlichen, sondern auch der synthetischen Pestizide zum Teil wieder auf. Pflanzen und deren Früchte verlieren ihre positiven gesundheitlichen Merkmale nicht dadurch, dass – in vernünftigem Maße – synthetische Pestizide gespritzt werden. Alle zugelassenen Pestizide müssen auf ihre toxikologischen Wirkungen hin untersucht werden, der Einsatz wird klar geregelt, es gelten die Regeln der guten landwirtschaftlichen Praxis zum sorgsamen Umgang mit solchen Mitteln, die schon allein aus wirtschaftlichen Gründen in aller Regel in vernünftigem Maße eingesetzt werden. Die Rückstände an synthetischen Pestiziden sind sehr gering und teilweise gar nicht mehr nachweisbar. Es besteht einfach nicht die Notwendigkeit, überteuertes Obst und Gemüse in Bioqualität zu kaufen, um sich gesund zu ernähren. Die synthetischen Pestizide sind in der verbleibenden Konzentration unbedenklich; immer wieder auf die ach so großen gesundheitlichen Risiken in Zusammenhang mit Pestiziden zu verweisen, ist reine Panikmache.
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Die Natur ist eine riesige Chemiefabrik. Ein Apfel z.B. enthält unzählige Substanzen, manche könnte man auch zu den Schadstoffen zählen
“Pestizid” als Kampfbegriff
Dies ist weder ein Plädoyer für den übertriebenen Einsatz von synthetischen Pestiziden in der Landwirtschaft, noch wollen wir Panikmache betreiben, was Risiken pflanzlicher Ernährung angeht. Im Gegenteil: Pflanzen und deren Früchte sind wertvolle Grundlagen unserer Ernährung und haben insgesamt eine positive gesundheitliche Wirkung, trotz eines in aller Regel geringen Gehaltes an Pestiziden. Das Risiko gesundheitlich negativer Wirkungen ist nicht begründet, gerade auch in Bezug auf synthetische Pestizide. Das Risiko allerdings, durch allzu große Ängste im Umgang mit Nahrungsmitteln diese gegebenenfalls zu meiden und dadurch von den positiven gesundheitlichen Wirkungen nicht zu profitieren, ist der wirkliche Schaden.
Zum Schluss noch ein Beispiel, das zeigt, dass es beim Vergleich zwischen natürlichen und synthtischen Stoffen kein einfaches Schwarz-Weiß gibt. Senfölglycoside, die in vielen Kohlarten als Insektizide dienen, können neben schädlichen Wirkungen auf den Menschen auch gesundheitsfördernde Eigenschaften haben. Das aus einem Senfölglycosid gebildete Sulforaphan hemmt im Experiment das Tumorwachstum. Die gleiche Wirkung hatte das sehr umstrittene Totalherbizid Glyphosat im Experiment.