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Neues von Raif Badawi

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Wie allgemein bekannt, wurde der saudiarabische Blogger Raif Badawi wegen Beleidigung des Islam von einem Gericht seines Heimatlandes zu 10 Jahren Haft, 1000 Stockhieben und 1 Million Riyal ($267,000) Strafe verurteilt. Man muss die Barmherzigkeit Allahs preisen, dass es nicht 100 Jahre, 10.000 Hiebe und 1 Milliarde Riyal geworden sind, oder die schlichte Todesstrafe, die für Apostasie infrage gekommen wäre.

Liebe Leserin, lieber Leser: Wenn Sie bis zu dieser Zeile gekommen sind, bedeutet das wohl, dass Sie lesen möchten, was ich zu sagen habe. Es gibt Menschen, die der Ansicht sind, dass ich etwas zu sagen habe. Es gibt aber auch solche, die meinen, dass ich einfach ein gewöhnlicher Mensch bin. Einer, der es nicht verdient hat, dass seine Blogartikel übersetzt und als Buch veröffentlicht werden. Ich selbst sehe mich einfach als jenen dünnen, aber zähen Mann, der auf wundersame Weise fünfzig Peitschenhiebe überlebt hat, umringt von einer jubelnden Menschenmenge, die immerzu »Allahu Akbar« rief – um der Artikel willen, die Sie jetzt lesen werden.

So beginnt das Buch „1000 Peitschenhiebe, weil ich sage was ich denke“ (Raif Badawi, Constantin Schreiber, Hrsg., Ullstein Berlin, 2015, hier). Ein kleines Büchlein, nur ein paar dutzend Seiten. 2010 schreibt er beispielsweise:

Ein Freund aus der Levante fragte mich neulich: »Wie würdest du eigentlich dazu stehen, wenn es der Hamas gelingen würde, Palästina zu befreien?« Ohne zu zögern, antwortete ich ihm: »Ich wäre der Erste, der gegen die Hamas in den Kampf ziehen würde.« Mein Freund schien etwas überrascht über meine Antwort. Er fragte nach: »Du würdest die Hamas bekämpfen, selbst wenn sie Palästina befreit hätte?«

»Ja, absolut. Und wenn sie Israel komplett ins Nichts befördern würde – wobei ich keineswegs glaube, dass sie das tun würde: Ich wäre der Erste, der sie bekämpft.« Nachdem unser Gespräch sich kurz in einem Schweigen verfangen hatte, nahm ich gelassen wieder das Wort, um meinen Ansatz besser zu erklären:

»Natürlich bin ich dagegen, dass Israel ein arabisches Land besetzt hat. Aber ich möchte die israelische Besatzung auch nicht gegen einen auf Israels Ruinen gegründeten Gottesstaat eintauschen. Das Einzige, was die Hamas kann, ist eine Kultur des Todes und der Ignoranz unter dem Volk verbreiten. Und das zu einer Zeit, wo wir nichts dringender brauchten als Leute, die eine Kultur des Lebens und der Zivilisation voranbringen, Leute, die uns Hoffnung machen können.

Schau dir doch einmal die ganzen Staaten an, die sich aus einer Religionsvorstellung heraus legitimieren. Schau dir ihre Völker an und was innerhalb von wenigen Generationen aus ihnen wird. Was haben solche Staaten denn zu bieten in Sachen Zivilisation? Überhaupt gar nichts. Nichts, nur Gottesfurcht, Lebensunfähigkeit und noch einmal nichts. Solches Gedankengut hat vielerorts Generationen von Menschen geformt – und tut es nach wie vor: zu Personen, die keiner Kreativität und Kultur mehr fähig sind. Ja, sie sind nicht einmal in der Lage, eine Zivilisation zu leben, die von außen zu ihnen gekommen ist – da man offenbar nicht von ihnen erwarten kann, dass sie ihre eigene Zivilisation hervorbringen.

Das ist natürlich nicht hinnehmbar von einer Theokratie.

Am 7. Juni 2015 bestätigte das oberste Gericht des Landes als letzte Instanz das Urteil; es ist anzunehmen, dass Badawi bald die nächsten Schläge aushalten soll. [SPIEGEL online, 07. Juni 2015, hier]

Schriftlich hat sich Saudi-Arabien beim Europaparlament über Kritik am Urteil gegen den Blogger Badawi beschwert. Das Auspeitschen verstoße nicht gegen Menschenrechte.
[ZEIT online, 10. Juni 2015, hier]

Was sind eigentlich Menschenrechte, Majestät? Die Schwester von Raif, Samar Badawi, hat übrigens 2010 mehrere Monate im Gefängnis verbracht, weil sie ihrem Vater nicht gehorcht hatte. Richter Abdullah al-‘Uthaim wird mit den Worten zitiert, dass schwere Fälle von Ungehorsam die Haft erforderten. Die 15jährige Haftstrafe für den Anwalt Raif Badawis hatten wir ebenfalls schon kurz gestreift.

Hier ein Kommentar aus dem arroganten Westen:

Miseret me quidem Terrarum Orientalium, primae sapientum sedis, florentissimi olim bonarum literarum Emporii, a multis retro saeculis in foedam barbariem conversarum.
Gewiss jammern mich die orientalischen Länder, erster Sitz der Philosophen, einst angesehenster Markt der guten Wissenschaft, seit vielen Jahrhunderten in schändliche Barbarei gestürzt.
Thomas Burnet: Archaeologiae philosophicae, 1692

الحرية للرائف بدوي

Freiheit für Raif Badawi!


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