Dass etliche esoterische Angebote zwar dem Portemonnaie der Anbieter, nicht jedoch der Gesundheit der Kundschaft förderlich sind, ist uns bei Psiram ja nicht neu. Nur wenige allerdings bieten den Kunden einen potenziell derart schnellen Ausweg aus der irdischen Misere wie eine Veranstalterin von Visionssuchen aus Berlin.
Angelika Brosin führt dort eine Shiatsu-“Praxis“, ist aber offenbar auch an Zuverdienst interessiert. Daher organisiert sie für die Kundschaft (maximal vier Teilnehmer) eine Visionssuche in der Wüste, und zwar in der Rub al-Khali. Diese befindet sich im Süden der arabischen Halbinsel; der Name bedeutet auf Deutsch „Leeres Viertel“, und dies darf als Hinweis darauf gesehen werden, wie lebensfeindlich die Umwelt dort ist.
Nun handelt es sich bei der Visionssuche um eine von einigen nordamerikanischen indigenen Ethnien praktizierte Zeremonie, bei der die Teilnehmer vier Tage und vier Nächte allein „in der Wildnis“ verbringen – ohne Nahrung und ohne Wasser. Üblicherweise ist dies eine Übergangszeremonie, die von männlichen Jugendlichen absolviert wird, die sich auf das Erwachsenenalter vorbereiten. Auf dem Esoterikmarkt richtet sich das Angebot dagegen an ein bereits erwachsenes Publikum, dem dadurch Selbsterkenntnis sowie auch Entscheidungshilfen in Aussicht gestellt werden. Gerne darf die Visionssuche bei esoterischen Anbietern auch mehrfach wiederholt werden, was ebenfalls nicht indigenen Gepflogenheiten entspricht. Frau Brosin wirbt daher auch ganz szenekonform mit:
„Die VisionsSuche wendet sich an Menschen, die sich eine Wandlung aus einer Krise wünschen oder eine tiefe Sehnsucht verspüren, in ihrem Leben etwas zu verändern.
Das kann eine neue Arbeitsstelle, eine Heirat, Kinderwunsch und Elternschaft, Krankheit, Scheidung, Umzug, Unzufriedenheit, Zweifel, Neugier, Eintritt ins Alter, u.v.m. sein.“
www.shiatsu-berlin.net
Was die Visionssuche nun aber mit Shiatsu zu tun hat? Nichts. Frau Brosin gibt ja auch nicht den leisesten Hinweis darauf, wer ihre Ausbilder hinsichtlich der Visionssuche waren und ob sie überhaupt eine der am Esoterikmarkt üblichen Ausbildungen hierzu durchlaufen hat. Aber selbst diese im allgemeinen selbst nur sehr begrenzt ausgebildeten Personen hätten ihr sagen können und müssen, dass es mit der Visionssuche in einer Wüste kritisch wird. Zwar wird die Reise erst im Oktober 2016 stattfinden, aber der Temperaturunterschied zwischen Nordeuropa und der Rub al-Khali ist auch dann beträchtlich und kann gesundheitliche Probleme verursachen – auf die Frau Brosin nicht hinweist.
Zusätzlich weist sie die Kunden nur an, einen Tag vor Beginn anzureisen. Da die ersten vier Tage der „Vorbereitung“ gewidmet sind, hat ein Kunde also theoretisch fünf Tage Zeit, sich an das Klima anzupassen. Nicht eben viel. Zudem werden diese ersten fünf Tage in einem an der Küste in Salalah gelegenen Hotel verbracht, wo die klimatischen Bedingungen andere sind als in der Wüste. Hierzu aus einem Reisetipp: „In der Wüste Rub-Al-Khali steigt die Temperatur bis zu mehr als 50° C. Wegen der brütenden Hitze muss täglich mehr als 10 Liter Flüssigkeit eingenommen werden.“ (s. hier) Ebenfalls bemerkenswert ist, dass Frau Brosin keinerlei Empfehlungen hinsichtlich der mitzuführenden geeigneten Kleidung abgibt.
Und dann geht’s los:
„5.Tag: Früh morgens Aufbruch in die Wüste zum Basislager, ca. 300km Fahrt. Im Basislager angekommen findet jeder seinen eigenen Kraftplatz. Die Abstände zueinander sind groß genug, um sich nicht durch den Nachbarn gestört zu fühlen und gleichzeitig nah genug, um nicht verloren zu gehen.
Abends gibt es letzte Instruktionen. Diese Nacht verbringen wir noch gemeinsam im Basislager (im Freien).
6.-9.Tag: Bei Sonnenaufgang begibt sich jeder nach einer Zeremonie zu seinem Kraftplatz und verbringt dort alleine die nächsten 4 Tage und 4 Nächte.
Du bist in Sicherheit. Wir sind im Basislager rund um die Uhr für Dich da!
Für genügend Wasser ist gesorgt.“
www.shiatsu-berlin.net
Die zahlende Kundschaft ist also 300 km von zivilisatorischen Einrichtungen (wie Arzt oder Krankenhaus) entfernt irgendwo in der Wüste – das kann sehr interessant werden, wenn jemand rascher ärztlicher Hilfe bedarf. Klimatisch nicht angepasste Europäer können nach ganztägiger Sonneneinwirkung in diesem Klima doch schon mal Erscheinungen wie Kreislaufkollaps oder Hitzschlag (übrigens lebensbedrohlich) entwickeln. Von irgendwelchen unerwünschten Begegnungen der dritten Art mit der dort üblichen Fauna nicht zu reden. Dass dann jemand in einem entfernten Basislager rund um die Uhr „für dich da“ ist, wird im Ernstfall nur ein schwacher Trost sein.
Und wie jetzt – „Für genügend Wasser ist gesorgt“? Bei einer Visionssuche wird weder Nahrung noch Flüssigkeit konsumiert! Es ist natürlich möglich, dass Frau Brosin eine „Visionssuche ganz light“ durchführt und den Kunden täglich literweise Wasser an „den Kraftplatz“ liefert. Das aber wäre entgegen des üblichen Prozedere und stört außerdem bei der gebotenen Konzentration auf eine Vision.
Natürlich ist es nicht ganz billig, sein Leben mit Hilfe einer unbedarften Eso-Anbieterin in der Rub al-Khali aufs Spiel zu setzen: „Kosten: 1990,- Euro zuzügl. Flug, Hotel, sowie Lunch und Dinner“. Äh ja – Flug sowie Hotel und Mahlzeiten kommen noch oben drauf… Für elf Tage ist das kein schlechter Kurs – sofern man auf der einnehmenden Seite sitzt.
Vor allem, wenn der Disclaimer gleich auf der Webseite verkündet:
„Haftung:
Mit der Anmeldung erklärst du dich verbindlich einverstanden, dass du für dein Handeln innerhalb und außerhalb der VisionsSuche die volle Verantwortung übernehmen kannst und übernimmst und Kursleitung und Gastgeber von Haftungsansprüchen freistellst. Deine Teilnahme ist freiwillig und dir ist klar, dass die VisionsSuche keine ggf. notwendige Behandlung durch einen Arzt oder Psychologen ersetzt.“
www.shiatsu-berlin.net
Also, liebe Visionssuchende, falls Sie irgendwelche gesundheitlichen Schäden davontragen oder gar in der Wüste den Löffel aus der Hand legen – auf jeden Fall ist Ihre Kursleitung frei von Haftungsansprüchen. Davon haben Sie vielleicht nichts mehr, aber Ihre Hinterbliebenen könnte es ein wenig gegen den Strich bürsten.
Angesichts von soviel Ahnungslosigkeit, Dreistigkeit und Mut zum Risiko bezüglich des Lebens bzw. der Gesundheit der Kundschaft vergeben wir unser Gütesiegel mit entsprechendem Nachdruck.