Als Werner Rügemer die Grenzen des Erlaubten testete, verschlug es selbst dem wortgewaltigen Herausgeber des KONKRET-Magazins, Hermann L. Gremliza, die Sprache. Entsprechend kurz fiel sein Urteil über den Artikel „Ein Besuch in der Kölner Synagoge – Wenn Kipa-Brüder die Woche der Brüderlichkeit feiern“ aus: „Dieser Dreck läßt sich nicht mehr kommentieren.“
Wir wollen es dennoch versuchen. Zitat:
„Man bekam ein schwarzes Mützchen, Kipa genannt: Nur mit einer solchen dürfe man den eigentlichen Synagogenraum betreten, schärfte mir eine der Schwestern bedeutsam ein. Das schien sehr, sehr wichtig zu sein. Andere Besucher nahmen andächtig ein Mützchen und setzten es sich auf. Ich tat es ihnen nach.“
Rügemer verhöhnt den Brauch jüdischer Männer, eine Kopfbedeckung zu tragen. Er mimt den Ahnungslosen, der nie zuvor davon gehört hat („Man bekam ein schwarzes Mützchen“). Indem er vorgibt, die korrekte Bezeichnung (im Deutschen: Kippa) auch jetzt noch, nach dem Besuch der Synagoge, nicht zu kennen, weist er mit besonderem Nachdruck darauf hin, wie vollkommen gleichgültig ihm das ist. Seine Wortwahl („Kipa-Brüder“, „Mützchen“) drückt Geringschätzung, wenn nicht Verachtung aus.
Bei einem gewissen Teil seiner Leserschaft wird das sicher Freude und Genugtuung auslösen. Kommt es ihm darauf an, sich in diesen Kreisen einen Namen zu machen?
Sich despektierlich über jüdische Rituale zu äußern, hat vor allem bei deutschen Autoren einen sehr unangenehmen Beigeschmack. Aber ist das für sich allein schon antisemitisch? Schließlich besteht keinerlei moralische Verpflichtung, Sympathie für eine bestimmte Religion und ihre Gebräuche zu empfinden, auch nicht für die jüdische. Möglicherweise sieht Rügemer darin nicht mehr als eine gesellschaftlich akzeptierte Form von Aberglauben, die keinen besonderen Respekt verdient. Und es könnte ja auch sein, dass er allen Religionen gleichermaßen distanziert gegenübersteht.
Dass die „Kipa“ den Männern vorbehalten ist, scheint er für eine besondere Diskriminierung der Frauen zu halten:
„Wie ich allerdings feststellen mußte, war das „man“ hier wörtlich im alten Sinne zu verstehen: Menschen weiblichen Geschlechts bekamen kein solches Mützchen. Sie sind hier offensichtlich eine andere Art Menschenwesen, vielleicht nicht so wichtig. Das schien aber keine der Schwestern zu stören. Außerdem ging es ja um die Woche der Brüderlichkeit.“
Der Leser fragt sich, worauf Rügemer eigentlich hinaus will. Können andere Religionen dem Judentum im Hinblick auf die Gleichberechtigung der Geschlechter denn als Vorbild dienen?
Das Brüder-/Schwestern-Motiv greift er bis zum Schluss immer wieder aufs Neue auf. Dabei verfällt er in einen zunehmend unangenehmen, süffisanten Ton:
„Die Kipa-freie Schwester las ziemlich bewegungslos aus einem Manuskript…“
„… der Bruder Aufpasser prüfte meinen Personalausweis mißtrauisch …“
„Dann brachen die Besucher artig auf und drängten aus dem Synagogenraum. Das war wohl der “Aufbruch“, der im Motto der Woche der Brüderlichkeit angekündigt war, sonst konnte ich keinen erkennen. Hatten sie ihren Blick verändert?“
„… die Außentür öffnete sich, Brüder & Schwestern gingen einzeln hinaus…. Bruder Aufpasser stand immer noch oder wieder wichtig da. Obwohl er nichts Erkennbares zu tun hatte. Das mag aber an meinem unveränderten Blick gelegen haben.“
„Die Polizisten … hielten immer noch oder wieder Pappbecher in der Hand, plauderten locker miteinander und beachteten die Brüder und Andersgeschlechtlichen nicht, scheinbar, die sich nun ohne Kipas ohne Aufsehen in die Stadt verstreuten.“
Eine zusammenhängende Botschaft ist nicht erkennbar. Rügemer springt von Detail zu Detail; er scheint nach Anlässen zu suchen, seinen Widerwillen auszudrücken. Den Leser lässt er deutlich spüren, dass er für alles, was er in der Synagoge sehen und erleben muss, tiefe Abneigung empfindet.
Vertrauen in Rügemers Intentionen kann so zwar nicht entstehen; dennoch muss auch dies noch kein Ausdruck von Antisemitismus sein. Wer weiß, was er über eine Predigt in einer katholischen Kirche schreiben würde?
„Reicher Ranitzki“
Doch dann geht er zu weit:
„Das Quartett spielte wieder etwas deutsch-Klassisches, bevor die etwas dickliche Professorin, die ihren Mantel anbehielt und keine Kipa trug, ohne jegliche Begrüßung ihr Honorar abarbeitete und ohne Umschweife auf den „Migranten als Leitfigur der Moderne“ zu sprechen kam. Die Referentin soll eine sehr bekannte Person sein. Ich blickte fragend meinen Nachbarn zur Linken an. Er raunte mir zu: „Literarisches Quartett!““
Rügemer hat u.a. Literaturwissenschaft studiert. Dass er vorgibt, das damals viel diskutierte „Literarische Quartett“ nicht zu kennen, erscheint zunächst rätselhaft.
Einen Augenblick später stellt sich heraus, dass seine gespielte Ahnungslosigkeit der Überleitung zu einem unfassbar flachen Witzchen dient:
„Als ich immer noch ratlos blickte, raunte er mir heftiger etwas zu, das wie „Reicher Ranitzki“ klang. Das schien er für eine definitive Erklärung zu halten.“
Dass Rügemer auch den Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki nicht kennt, nimmt ihm niemand ab. Er konnte einfach der Versuchung dieses Tabubruchs nicht widerstehen. Die Kölner Schriftstellerin Adriana Stern schrieb dazu:
„Da wird dann aus Reich Ranicki ein „Reicher Ranitzki“, was nicht mehr fern ist vom Begriff „Reicher Itzig“, einem Schimpfwort, das bereits im Mittelalter gegen Juden verwendet wurde und gleich zwei antisemitische Einstellungen bedient.“
(Rügemer ließ seinen Text inzwischen vom Netz nehmen.)
Israel: „Kettenhund und Vasall“
Dann nimmt er sich den jüdischen Staat vor:
„Auf einem Wandteppich hinter dem Altar ist ein Buch-Symbol angebracht, das soll sicher das religiöse Hauptbuch der Juden darstellen, die Thora. Die beiden aufgeschlagenen Seiten werden von zwei aufrecht stehenden Löwen gestützt, darüber thront eine Königskrone. Das hat wohl mit dem Alten Testament zu tun: König David gründet das Königreich Israel damals vor vielleicht 3.000 Jahren, geht einen Bund mit Gott ein, alle Andersgläubigen sollen vernichtet werden, so etwa lautet bekanntlich die Legende.“
Die Kölnische Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit hatte Rügemer zur „Woche der Brüderlichkeit“ in eine Synagoge eingeladen. Warum zitiert er, auf den Altar blickend, ausgerechnet diese martialische Stelle des Alten Testaments?
In den fünf Büchern Mose der Tora z.B. hätte er durchaus einige friedlichere Aussagen finden können:
Lev 19,33: Wenn bei dir ein Fremder in eurem Land lebt, sollt ihr ihn nicht unterdrücken.
Lev 19,34: Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid selbst Fremde in Ägypten gewesen.
Rügemer handelt wie ein Islamist, der im Koran Textstellen heraussucht, die den Dschihad legitimieren sollen – oder wie ein Anti-Islamist, der daraus die Gewalttätigkeit des Islam ableiten will. Er suggeriert dem Leser, die Ursache des Nahostkonflikts sei im religiösen Fanatismus der Juden zu suchen, und erfüllt damit ein Kriterium der Arbeitsdefinition „Antisemitismus“ der European Parliament Working Group on Antisemitism:
Die Anwendung klassisch-antisemitischer Symbole und Bilder (z.B. der Vorwurf, dass Juden Jesus töteten, oder die Behauptung von Blutopfern) für die Charakterisierung Israels oder der Israelis.
Für diesen Befund fehlt allerdings noch ein Schritt. Rügemer muss das blutrünstige Bibelzitat tatsächlich mit dem heutigen Palästinakonflikt verknüpfen:
„Ich wollte schon dazwischenrufen, dass der Nationalismus eine besonders verstärkte Ausprägung nach jenem geheimnisvollen elften September gerade in den USA gefunden habe und von Anfang an in Israel sogar Staatsdoktrin sei. Und mit der neuen Regierung Netanjahu/Liberman einen besonders aggressiven Ausdruck finde. Ich verkniff mir das aber, wobei ich nicht weiß, ob ich wieder mal zu furchtsam war. Warum sollte man eine solche banale und weltbekannte Tatsache nicht sagen dürfen?“
„Wieder mal zu furchtsam …“ – Rügemer hat das angeblich Verbotene ostentativ doch gesagt und gefällt sich in der Rolle des Mutigen. Daher sei darauf hingewiesen, dass die so weit verbreitete wie falsche Behauptung, Kritik an Israel sei politisch inkorrekt, von der Bundeszentrale für politische Bildung ebenfalls in einen antisemitischen Kontext eingeordnet wird:
Die antisemitische Anklageschrift ist lang: „Die“ Juden seien schuld an Armut und Krisen; sie kontrollierten die Medien und die Börse – und wegen der historischen Verbrechen an ihnen dürfe man sie, vor allem als Deutscher, nicht einmal kritisieren.
Damit keinem Leser entgeht, was er mit dem Bibelzitat hatte sagen wollen, folgt unmittelbar auf die Kritik an Israel noch der Rückverweis auf König David. Zitat:
„Lag es an König David und den Kipas?“
Rügemers Haltung zum jüdischen Staat ist eindeutig:
„So bedeutet die Anerkennung des Existenzrechts Israels die Anerkennung eines zusätzlich gefährlichen Vasallenstaates, der als Kettenhund der westlichen Mächte noch eigene und unkontrollierbare Strategien verfolgt.“
Über die israelischen Sperranlagen behauptet er:
„Mit der Mauer soll die völkerrechtswidrige, seit 50 Jahren andauernde Besetzung der Westbank verewigt werden.“
Seine Wortwahl regt zu Assoziationen mit Vernichtungslagern des Dritten Reichs an:
„Auch hier dürfen Scharfschützen ungestraft Menschen abknallen.“
Den wahren Zweck der Grenzabriegelung erwähnt er nicht:
Die Barrieren im Westjordanland halfen den palästinensischen Terror zu besiegen: Sprengten sich früher fast täglich Selbstmordattentäter im Kernland in die Luft, ist die Zahl der Attentate nach der Errichtung von Sperranlagen auf fast null gesunken.
Ob die an den Sperranlagen eingesetzten IDF-Soldaten wissen, welche Gräuelpropaganda in Deutschland über sie verbreitet wird?
„Globalisierung des Zionismus“
Rügemer schreckt auch vor den ältesten, antisemitischen Verschwörungstheorien nicht zurück:
„Im Jahr 2006 hatte der Kölner Verlag M.DuMont Schauberg 25 Prozent der israelischen Tageszeitung Haaretz erworben. Dies steht nicht nur im Zusammenhang einer internationalen Expansion beider Verlage, sondern auch, wie sich jetzt zeigt, einer weiteren neoliberalen Umgestaltung und der Globalisierung des Zionismus.“
Die politische Einflussnahme des neuen Teilhabers einer israelischen Tageszeitung gerät bei ihm zur „Globalisierung des neoliberalen Zionismus“. Was mag ihn bloß zu solchen Phantasien angeregt haben? Zitat Rügemer:
„Mit der International Herald Tribune, der internationalen Ausgabe von New York Times und Washington Post, besteht seit einiger Zeit das Arrangement, dass deren Ausgabe in Israel die Haaretz-Ausgabe in englischer Sprache beigelegt wird, gegenwärtig in einer Auflage von 15.000. Neben dem bereits bestehenden Internetportal Walla wird eine internationale englische Internetausgabe aufgebaut, bei der DuMont mithilft; die Redaktion, täglich 24 Stunden im Einsatz, ist unabhängig von der hebräischen und auch der englischen Haaretz-Ausgabe.“
Hinter Rügemers Worten verbirgt sich ein sehr alter Verdacht:
Der Ausdruck Weltjudentum ist meist Kernbegriff einer antisemitischen Verschwörungstheorie, die von der Voraussetzung ausgeht, dass ein fiktives Kollektiv, „die Juden“ bzw. das Judentum, die Weltherrschaft anstrebe oder besitze. Verwandt sind Ausdrücke wie jüdische Weltverschwörung oder jüdische Weltbeherschung, jüdische Internationale, Alljuda, internationales (Finanz)Judentum und der internationale Jude.
Bei Rügemer liest sich das so:
„Zionism goes neoliberal and global and the Kölner Stadt-Anzeiger is marching in front.“
Wie Rügemer über Paul Silverberg denkt
Seine Anmerkungen über den Industriellen Silverberg sind nur noch abscheulich (Rechtschreibung wie im Original):
„Die Nazis nahmen ihm zwar wesentliche Teile seines Eigentums weg, aber er konnte trotzdem unter komfortablen Umständen nach Lugano (Schweiz) ins Exil gehen. Dort blieb er bis zu seinem Tode 1959, und er blieb unbelehrbar. Er kehrte nach dem Ende des NS trotz vieler Bitten etwa seiner engen Freunde Robert Pferdmenges von der Bank Oppenheim und von Bundeskanzler Konrad Adenauer nicht nach Deutschland bzw. in die Bundesrepublik zurück.
Seine Begründung lautete: Das unternehmerische Eigentum sei in der neuen Bundesrepublik nicht gesichert, erstens weil die US-Militärbehörden die in der NS-Zeit entstandenen Industriesyndikate dekartelliert (entflochten) hätten und zweitens weil sogar Adenauers CDU sozialdemokratisch-sozialistischen Einflüssen unterliege – er meinte damit insbesondere das „Ahlener Programm“ der CDU und die Bedeutung, die damals den Christlisch-Demokratischen Arbeitnehmerausschüssen (CDA) in der CDU zukamen. “
Vor allem sein Fazit ist unglaublich:
„Die geschichtliche Bilanz lautete für den Unbelehrbaren: Der Nationalsozialismus hätte Erfolg haben und die Welt erobern können, wenn er nur die Juden nicht verfolgt hätte.“
Will er tatsächlich sagen, der von Nazis zum Juden erklärte und verfolgte Silverberg sei auch nach der Erfahrung des Dritten Reichs noch Anhänger des Nationalsozialismus gewesen?
Antisemitismus reicht ihm nicht – Rügemer ist auch Zyniker.
Stern versus Rügemer
Eine der frühesten Kritiken an Rügemer stammt von Adriana Stern: „Mehr als Klüngel und Korruption: Die verschroben antisemitische Weltsicht von Werner Rügemer“
Anhand von Kriterien der Bundeszentrale für politische Bildung wies sie ihm Neuen Antisemitismus nach. Dagegen fuhr Rügemer im Januar 2015 schweres Geschütz auf: „Bis vor kurzem hatte ich gedacht, dass der Artikel so strohdumm und lügenhaft ist, dass kein verantwortlicher Mensch ihn ernstnimmt.“ Er erwirkte eine Unterlassungserklärung und triumphierte: „Berichten Sie uns, Frau Stern: Sind Sie erleichtert, dass sie nicht mehr lügen müssen?“
Der mit Rügemer freundschaftlich verbundene Albrecht Müller sekundierte: „Rügemer wehrt sich gegen die Diffamierung, Antisemit zu sein und gewinnt in allen Punkten.“
Unkritische Leser der NachDenkSeiten können daraus den Eindruck gewinnen, ein Gericht habe die Stichhaltigkeit von Adriana Sterns Kritik überprüft. Doch das ist nicht der Fall: Stern hatte ihre Kritik aus Furcht vor dem wirtschaftlichen Risiko eines Rechtsstreits zurückgezogen.
Welche Vorwürfe erhebt Rügemer gegen seine Kritikerin? Zitat:
„So hat sie behauptet, ich hätte die gegenwärtige Bank Sal. Oppenheim als „jüdische Bank“ und den 2005 verstorbenen Bankchef Alfred von Oppenheim als „jüdischen Bankier“ dargestellt, ebenso hätte ich von „Elite-Juden“ gesprochen: All dies ist falsch. Sie bezog sich dabei auf mein Buch „Der Bankier. Ungebetener Nachruf auf Alfred von Oppenheim“ (Nomen-Verlag 2006, erscheint immer noch in teilweise geschwärzter Auflage), in dem alle diese Begriffe nicht vorkommen.“
Es fragt sich, warum Rügemer ausgerechnet diese drei Punkte anführt, denn seine Behauptungen darüber sind durchweg falsch:
- Adriana Sterns Kritik bezog sich keineswegs nur auf dieses Buch über Oppenheim (und kann daher nicht mit dem Hinweis entkräftet werden, dass ein von ihr kritisierter Begriff darin fehle).
- Dass Rügemer die gegenwärtige Bank Sal. Oppenheim als „jüdische Bank“ bezeichnet habe, hat Stern nicht behauptet.
(Häufige Verweise auf das Judentum scheinen ihm allerdings wirklich viel zu bedeuten. So heißt es im Klappentext zum Buch über Oppenheim: „Rügemer gibt erstmals einen Einblick in die bisher tabuisierte Praxis der Bank jüdischer Tradition während des Nationalsozialismus …“ Adriana Stern dazu: „Die Söhne der Familie Oppenheim, spätere Besitzer der Bank Oppenheim, konvertierten beide bereits 1858 zum Christentum.“) - Sie hat auch nicht behauptet, dass Rügemer Oppenheim in seinem Buch als jüdischen Bankier darstellt. Dies habe er auf Veranstaltungen gesagt: „Vor allem interessierte mich, warum er zu betonen nicht nachlässt, dass dieser ja eigentlich jüdisch sei, was auch seine zentrale Aussage auf der ersten Veranstaltung Anfang 2008 war, die ich besuchte. Dort, wie an vielen anderen Orten und Gelegenheiten, legte er dem daraufhin empörten Publikum nahe, der jüdische Oppenheim habe sich aktiv an der Wegnahme jüdischen Eigentums beteiligt.“
Was Rügemer auf solchen Veranstaltungen sagte, ist nicht dokumentiert, kann also nicht bewiesen werden. Weitere Äußerungen von Rügemer wie z.B. über Paul Silverberg lassen Sterns Aussage indes glaubwürdig erscheinen: „Silverbergs Eltern waren bekennende und praktizierende Juden, ließen ihren Sohn aber evangelisch taufen.“ Dass Silverberg evangelisch getauft war, hindert Rügemer nicht, ihn schon in der Überschrift als Juden einzustufen: „Jüdischer Unternehmer für Hitler: Paul Silverberg“. Und er wiederholt dies im Text: „… der Konvertit bemühte sich wie andere jüdische Aufsteiger in Wirtschafts- und Finanzkreisen um Integration in die „bürgerliche Gesellschaft“ … Heute … erscheint … es unglaublich und undenkbar, dass ein jüdischer Unternehmer für Hitler eingetreten sein soll. … Silverberg war zudem kein Einzelfall.“
„Jüdischer“ Unternehmer Silverberg?
Silverberg war nie Jude gewesen; er war noch nicht einmal Konvertit. Aber selbst ein konvertierter Jude ist in unserem Verständnis kein Jude mehr. Einen Menschen gegen seinen Willen als Juden einzustufen ist eine Besonderheit nationalsozialistischer Ideologie.
Warum bemüht sich Rügemer dennoch so sehr, vom „jüdischen Aufsteiger“ zu sprechen? Silverberg gehörte zum Kapital und hatte sich wie dieses Hitlers Programm unterworfen, daran ist – leider – nichts besonderes. Meint Rügemer in Silverbergs Verhalten etwas spezifisch Jüdisches zu erkennen?
Adriana Sterns Kritik ist in allen wesentlichen Punkten berechtigt. Sie hat sich jedoch zumindest zwei Ungenauigkeiten erlaubt:
- Sie unterstellt Rügemer, von „Elite-Juden“ gesprochen zu haben. Tatsächlich ist in seinen Schriften von „jüdischen Aufsteigern“ die Rede.
(Die beiden Begriffe sind allerdings weitgehend synonym. Ganz gleich ob man darunter die Zugehörigkeit zur Elite innerhalb der Judenschaft oder der Weimarer Republik verstehen möchte: Inwieweit das eine inhaltliche Verfälschung darstellen soll, ist nicht erkennbar.) - Dass Rügemer, wie von Stern behauptet, die Kölner Sparkasse und Karstadt als jüdische Unternehmen bezeichnet hat oder darstellen möchte, lässt sich nicht bestätigen. Sollte er dergleichen auf einer Veranstaltung gesagt haben, so wäre ein entsprechender Hinweis angebracht gewesen.
Zur Relevanz von Rügemers Antisemitismus
Werner Rügemer hat sich um die Aufklärung über Korruption und die Durchsetzung privater Interessen gegen das Gemeinwohl verdient gemacht. Das verleiht ihm nicht nur im linken Teil des politischen Spektrums einige Autorität. Leider setzt er seinen guten Ruf auch dazu ein, sich an der Delegitimierung Israels zu beteiligen.
Kritik an Israel ist selbstverständlich legitim, soweit sie auf Wahrheit beruht. Anlässe dafür gibt es genug: So stehen z.B. der rechtlichen Gleichstellung der arabischen Bürger de facto Benachteiligungen auf vielen Gebieten gegenüber; der Einfluss radikal-religiöser Kräfte trägt zur Militarisierung der Gesellschaft bei; und leider bleibt auch die israelische Armee bei ihren Einsätzen nicht frei von Schuld – bis hin zu offiziell noch immer geleugneten Kriegsverbrechen (wie z.B. dem Artillerieangriff auf Kana im Jahre 1996).
Zugleich ist es aber nur diesem Staat und seiner Armee zu verdanken, dass nicht bereits der nächste Holocaust stattgefunden hat. Keines der Nachbarländer hat sich je mit der Existenz des jüdischen Staats abgefunden. Viele Kritiker Israels ignorieren, dass mit der so genannten „Befreiung Palästinas“ stets die Erwartung verbunden ist, das israelische Staatsgebiet judenfrei zu machen.
Die jüdische Geschichte war bis zur Gründung Israels eine Geschichte von Pogromen gewesen. Wer antiisraelische Hetze und Antisemitismen verbreitet und die Existenz des Staates in Frage stellt, der als Antwort auf die zivilisatorische Katastrophe der „Endlösung“ entstand, macht gemeinsame Sache mit der extremen Rechten.
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