Immer wieder stößt man im Internet auf Behauptungen, dass man früher ja auch mal geglaubt habe, die Erde sei flach. Gerade neulich hat der kurzzeitige Kommunikationsdirektor des Weißen Hauses, Anthony Scaramucci, der den unglaublich talentierten Sean Spicer abgelöst hatte, wieder diese Keule ausgepackt.
„Chris, there was an overwhelming science that the Earth was flat and there was an overwhelming science that we were the center of the world. One hundred percent. We get a lot of things wrong in the scientific community,“ Scaramucci said.
In dem Interview ging es um den Klimawandel und die klare Stellung der wissenschaftlichen Gemeinschaft dazu. Anthony Scaramucci begründet seinen Standpunkt damit, dass die Wissenschaft ja dauernd irre; es hätte ja auch einmal überwältigende Beweise gegeben, dass die Erde flach sei und das Zentrum der Welt. Einhundertprozentig.
Nun mag man den Standpunkt vertreten, dass das Thema Klimawandel wichtiger sei als die Frage, ob die Wissenschaft je an eine flache Erde glaubte. Mag sein. Aber in dieser Behauptung steckt ein grundsätzlicher Angriff, der Versuch, die Wissenschaft ins Lächerliche zu ziehen. Die Wissenschaft irre bei solchen Trivialitäten, also was ist schon von ihr zu halten?
Es ist natürlich schwierig zu sagen, wann/wo denn die wissenschaftliche Gemeinschaft ihren Ursprung hat und wer alles dazu zählt. In unserem Kulturkreis gelten zumeist die alten Griechen als die Ahnen der Wissenschaft. Blickt man nun kurz in ein Geschichtsbuch, so landet man zumindest bei Eratosthenes, 276 v. Christus geboren. Von ihm ist als erstem eine recht genaue Berechnung des Umfanges der Erde belegt. Laut Wikipedia kam er auf 250.000 Stadien, das 50-fache der Entfernung von Alexandria nach Assuan, wobei heute unklar ist, welcher exakte Umrechnungsfaktor in Meter zu nutzen wäre. Rechnet man es allerdings auf Basis der Distanz zwischen Alexandria und Assuan nach, so kommt man auf 41.750 km, was dem tatsächlichen Wert von etwa 40.000 km sehr nahe kommt.
Man merke: Die Frage war hier nicht, ob die Erde flach sei. Nein, es ging um den Radius der Kugel. Man kann nun weiter zurückgehen. Pythagoras, 6. Jahrhundert vor Christus, sprach bereits von einer Kugelgestalt. Sein Lehrmeister Anaximander glaubte an eine Zylinderform und auch einige Philosophen vertraten zu jener Zeit die Hypothese der flachen Erde.
Auch später noch finden sich diverse Vertreter des Glaubens an die flache Erde (auch heute noch). Wie man an unserem Wiki leicht erkennen kann, findet sich zum größten Unsinn (und Wahnsinn) irgendjemand, der ihn vertritt. Im Großen und Ganzen wurde jedoch die Kugelgestalt von den alten Griechen über das Mittelalter bis in die Neuzeit als korrekt anerkannt.
Der schwierige Beweis des heliozentrischen Weltbildes
Aber auch die Frage nach dem Zentrum der Welt ist nicht ganz trivial. Wir nehmen hier mal an, dass Herr Scaramucci mit „world“ (Welt) im philosophischen Sinne das Universum gemeint hat. Wir wollen ihm ja nicht andichten, dass er das einfach so dahingesagt hat oder Wörter wie Sonnensystem oder Universum nicht kennt.
Nun galt es lange Zeit tatsächlich als unbestritten, dass die Erde im Zentrum steht und die Sonne sich um sie dreht. Der oben bereits kurz erwähnte Pythagoras war zwar hier bereits der Meinung, dass die Sonne im Zentrum stehe, aber diese Meinung hat sich nicht durchgesetzt. Kopernikus gilt mit seinem Werk „De revolutionibus orbium coelestium“ (1543) als bahnbrechender Wegbereiter des Übergangs vom geo- zum heliozentrischen Weltbild.
Und zweifellos regte er Riesen wie Kepler und Galileo an, das heliozentrische Weltbild voranzutreiben. Aber beide hatten Anfang des 17. Jahrhunderts ein Problem. Trotz des neuen Fernrohrs Galileos und der überragenden Erkenntnis eines Kepler, dass die Planeten die Sonne nicht kreisrund umkreisen, sondern die Bahnen Ellipsen sind, konnten sie diese Erkenntnis nicht belegen. Das Tychonische Weltmodell, ein von Tycho Brahe mathematisch verbessertes geozentrisches Weltbild, erwies sich als unknackbar.
Galileo behauptete zwar, den Beweis für das heliozentrische Weltbild anhand der Gezeiten erbracht zu haben. Die Gezeiten sind jedoch abhängig vom Mond und für eine solche Beweisführung unbrauchbar, wie auch Kepler 1616 nachwies. Berühmt wurde er aber trotzdem damit, als Opfer der Inquisition. Wobei ihm hier wohl auch sein unkluges und stures Verhalten gegenüber seinen Widersachern keine guten Dienste leistete. Die Fama will, dass er z.B. der Figur des Einfaltspinsels in einer Streitschrift die Worte seines Gönners, des Papstes, in den Mund legte.
Zu Kepler lese man unseren Beitrag Ich war der Mathematiker des Kaisers, der die Thematik genauer beleuchtet.
Auch wenn sich das heliozentrische Weltbild mit Keplers Ellipsen lange vorher in der astronomischen Gemeinschaft durchsetzte, die Beweisführung war auf Basis damaligen Wissens und Messmethoden einfach nicht möglich. Erst mit einem eigens konstruierten Zenitteleskop gelang dem Geistlichen James Bradley mit der Entdeckung des Phänomens der Aberration des Lichts im Jahre 1725 der erste echte Beweis.
Der letzte Nagel im Sarg und endgültige Beweis gelang dann erst Friedrich Wilhelm Bessel (1838) durch die Bestimmung der Parallaxe das Sterns 61 Cygni.
Die Beweisführung zum Heliozentrischen Weltbild war keine Trivialität, wie man heute vielleicht meinen mag. Viele Ziegelsteine wurden aufeinander gelegt. Die Schriften des Kopernikus, das Fernrohr Galileos (und seine Weiterentwicklungen), die präzisen Messungen eines Tycho Brahe, das Genie eines Kepler und dann noch einmal 200 Jahre um die Geschichte abzuschließen.
Das ist Wissenschaft. Die Suche nach Wissen, ein steiniger Weg, der von Irrtümern und Fehlern gepflastert ist. Aber mit jedem Schritt entlang des mühseligen Pfades wird das Wissen gemehrt, bestehendes bestärkt oder verworfen.
Wie man sieht, sind die Äußerungen eines Herrn Anthony Scaramucci auf vielen Ebenen ärgerlich. Nicht nur wird es so dargestellt, als hätte die Wissenschaft „Trivialitäten“ falsch eingeschätzt, der steinige Weg der zu ihren Erkenntnissen geführt hat, wird auch als lächerlich abgetan. Ist doch egal, was Wissenschaftler sagen, die machen ja so viele Fehler.
So sad.