Die warme Socke – Wahrzeichen der VHS?
In den vier vorangegangenen Folgen sind Wege aufgedeckt worden, auf denen irrationale Gedankenwelten in die Programme der Volkshochschulen einsickern; nicht etwa vereinzelt, sondern flächendeckend. Anscheinend muss man davon ausgehen, dass bundesweit keine VHS existiert, der es gelingt, sich gegen die Vereinnahmung durch unnütze bis gefährliche Heilslehren zuverlässig zu schützen. Hinweise auf Gegenbeispiele werden gerne entgegen genommen – nur wo sind sie?
Es ist vermutlich illusorisch, von den VHS zu erwarten, dass sie sich an die Spitze einer Aufklärungskampagne gegen Homöopathie setzen. Vermutlich ist es sogar zu viel verlangt, Kursangebote in dieser Richtung auch nur zu vermeiden – wenn gleichzeitig eine öffentliche Universität sich ein ”Institut für transkulturelle Gesundheitswissenschaften” leistet. Sehr wohl aber könnte erwartet werden, dass zumindest der haarsträubendste Unfug nicht auf dem Umweg über einen VHS-Kurs den Ritterschlag öffentlicher Beglaubigung erhält. Dabei reichen in den meisten Fällen wenige Minuten der Überprüfung, mit wem und womit man es bei den Kandidaten für eine Dozententätigkeit zu tun hat. Wenige Mausklicks reichen aus, um vorgewarnt zu sein, dass ansonsten beispielsweise
- Veranstaltungen zur AD(H)S-Problematik von Vortragenden gestaltet werden, die ihre eigene Betroffenheit als Erwähltsein im Zustande eines „Kristallkindes“ missverstehen,
- stadtbekannte Tischerücker über den Tod dozieren,
- Kursangebote zu nutzlosen Gesundheitslehren als Joint-Venture mit örtlichen Heilpraxen betrieben werden sollen,
- VHS-Kurse als Werbeveranstaltungen für Anbieter von esoterischen Waren und Dienstleistungen herhalten müssen,
- Kursteilnehmer mit brennenden Kerzen in den Ohren traktiert oder als Malfläche für magische Symbole missbraucht werden,
- Geistheilungs-Ideologien ohne Rücksicht auf Sektenaffinität gefördert werden sollen,
- vermeintliche Aufstiegschancen und Scheinqualifikationen in haltlosen Heilslehren vermittelt werden sollen.
Aber offensichtlich mag sich dort niemand um Mindeststandards kümmern.
Wie kommt es, dass die VHS sich statt dessen so wehr- und kritiklos von jedem Unsinn vereinnahmen lassen, wenn er nur mit einem Schiffchen namens „östlich-sanft-alternativ“ gesegelt kommt? Es drängt sich ein Verdacht auf: die für die einschlägigen Themen Verantwortlichen beziehen ihre Leitbilder nicht aus der Tradition der Aufklärung, auch wenn das gerne und blumig behauptet wird, sondern aus einer erweiterten „Yellowpress“, unter Einschluss von „Brigitte“ und Reformrundschau. Hinzu kommt aber mit Wahrscheinlichkeit noch etwas anderes: die Einübung in ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber allem, was als „etabliert“ wahrgenommen wird. Ungeachtet des Umstandes, dass die Etabliertheit moderner wissenschaftlicher Einsichten etwas mit empirisch messbarem Erfolg zu tun hat, sind Begrifflichkeiten wie „alternativ“ oder „komplementär“ faktisch positiver besetzt. Und wer wollte seine Unpässlichkeiten nicht „sanft“ und nebenwirkungsfrei behandeln? Es ist, so betrachtet, auch eine Form der Ideologiebefrachtung, die die Ohnmacht der VHS gegenüber seltsamen Heilslehren begründet. Diese Ideologiebefrachtung wird besonders deutlich, wenn man das praktisch völlige Fehlen von Angeboten berücksichtigt, die sich kritisch mit para- und pseudomedizinischen Konzepten auseinandersetzen. Debunking, also das, was man als Kernbestand der Erwachsenenbildung auffassen könnte, findet in den VHS nicht statt. Ergo: in den VHS wird ein einseitiges, ideologielastiges Bild über das vermittelt, was die Welt und den Menschen zusammenhält.
Wieso muss das ein Ärgernis sein für den Bürger, der selbst nicht daran denkt, sich von pseudowissenschaftlichen oder geradeheraus esoterischen Kursangeboten einseifen zu lassen? Die VHS sind strukturell unterfinanziert, das pfeifen die Spatzen von den Dächern. Keine VHS wäre in der Lage, alleine mit den erhobenen Gebühren auch nur in die Nähe einer Kostendeckung zu kommen. Die Mittel zum Betrieb der VHS stammen zum überwiegenden Teil aus den Steuer- und sonstigen Abgabentöpfen von Ländern und Kommunen. Der alberne Mummenschanz, der dort abläuft, wird also aus Ihren öffentlichen Abgaben zu einem beträchtlichen Teil finanziert. Irrationale Überzeugungssysteme, Esoterik, Quacksalberei und rundheraus gefährlicher Unsinn liegen in den VHS der öffentlichen Hand auf der Tasche – und müssen obendrein noch unverfroren als Werbeplattform dafür herhalten.
Deshalb, liebe Leserin, lieber Leser, werden Sie aktiv. Machen Sie andere auf diese Serie aufmerksam. Zeigen Sie sie einem örtlich politisch Verantwortlichen, einem Ratsmitglied, einem Magistrat, einem Bürgermeister, wenn Sie ähnliche Zustände in der VHS vor Ihrer Haustür vorfinden. Und wenn das nicht hilft, zeigen Sie es der Opposition. Wenn Sie eine Tagespresse haben, die noch etwas kritischen Verstand hat, zeigen Sie es ihr. Führen Sie Beschwerde bei dem Bundesverband der Volkshochschulen! Schaffen Sie Öffentlichkeit!
Und nun noch zu den guten Nachrichten: es geht auch anders.
In Wien, im 23. Bezirk, arbeitet die VHS mit der Gesellschaft für kritisches Denken (GkD) zusammen; es ist ein Vortragsprogramm entstanden, über das Ulrich Berger bei den Scienceblogs berichtet . Es geht also auch anders. Und es schließt sich die Frage an, ob irgendjemand bei irgendeiner VHS in Deutschland einmal daran gedacht hat, den Kontakt etwa zur GWUP zu suchen, um so etwas wie die Stimme der Wissenschaft und der Aufklärung in die Volkshochschulen zu bringen. Falls das tatsächlich der Fall sein sollte, dann antworten Sie bitte JETZT.