Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Beda M. Stadler. Er ist Direktor des Instituts für Immunologie der Universität Bern. Der Beitrag erschien zuerst bei NZZ-Folio.
Die spanischen Eroberer mussten 1537 nicht schlecht gestaunt haben, als die einheimische Bevölkerung grausige Knollen aus dem Boden gruben um diese zu verzehren. Allerdings wurde in Sorocaba, einem Dörfchen in den Anden, bloss etwas entdeckt, was gar nicht zu entdecken war, schliesslich hatten die Inkas bereits 200 vor unserer Zeitrechnung die Kartoffel entdeckt. Eine Pflanze mit dermassen viel Kohlenhydraten, dazu leicht anzubauen, müsste einen Siegeszug vor sich gehabt haben. Weit gefehlt! Es vergingen 200 Jahre, bis sich die Skepsis gegenüber diesem Novel Food verflüchtigte. Wetten: bei Genfood wird es rascher gehen.
Kartoffeln seien giftig oder des Teufels, hiess es damals. Eine ähnliche Argumentation, die wir heute von NGO’s kennen. Greenpeace glaubt auch, Genfood sei giftig. Dabei war die Skepsis unserer Vorfahren sogar berechtigt, schliesslich haben damals einige Menschen anstelle der Knollen die giftigen Früchte gegessen. Selbst heute kann man an Dummheit sterben, falls man Unmengen von rohen Kartoffelschalen isst. Damals behauptete man auch, Kartoffeln würden Lepra oder Syphilis hervorrufen. Heute glaubt jeder, Genfood enthalte unabsehbare Risiken. Das ist gefährlicher als jene Krankheiten, die man dank Gentechnik behandeln kann. Noch taucht alle paar Monate eine miserable Studie auf mit der gezeigt wird, dass Marienkäfer oder Ratten wegen Genfood krank werden. Nichts davon hat je Bestand gehabt und wurde jeweils innerhalb einer Woche von der Wissenschaft widerlegt. Die Panikarbeiten werden aber jeweils zur Lieblingsliteratur für alle, die unser Essen lieber zu Medikamenten statt zu Nahrungsmitteln machen möchten. Schade, dass man das einstige Argument, die Kartoffel sei ein Aphrodisiakum, heute nicht mehr gebraucht, Genfood wäre ein Renner.
Friedrich der Zweite befahl 1764 den Verzehr der Knollen. Wer sich weigerte, dem wurde die Nase abgeschnitten. Heute werden wir mit Bio zwangsgefüttert, obwohl es eigentlich unmöglich ist “Biokartoffeln” zu ernten. Die Knolle braucht sehr viel menschliche Liebe in Form von Pestiziden. Trotzdem, wer über Bio lästert, dem droht auch einiges, falls meine Hassmails echt sind. Urs Niggli, Direktor des quasi religiösen FIBL, oder Ruedi Baumann, ehemaliger Präsident der Grünen und Biobauer, haben einmal laut darüber nachgedacht, ob der Einsatz von Gentechnik bei Kartoffeln allenfalls nicht sinnvoll wäre. Diesen “Bio-unkorrekten” Gedanken mussten beide zurücknehmen um nicht gefedert zu werden. Ich sollte in diesen Wunden nicht mehr grübeln und den Biobauern etwas Zeit lassen, bis sie selber zur Gentechnik finden. In der Analytik haben sie es ja längst getan. Die Biobauern wenden Gentechnik an, wenn es darum geht ihre Züchtungen zu überprüfen, aber sie scheuen sich vor jeder transgenen Pflanze wie der Teufel vor dem Weihwasser.
Es war letztlich der Hunger in Europa, welcher den Kartoffeln zum Durchbruch verhalf. Erstaunlich ist allerdings, dass wir Über-Ernährte noch vor kurzem Forscher hatten, die führend auf dem Gebiet der Virusresistenzen bei Kartoffeln waren. 1991 und 1992 wuchsen nämlich auf Versuchsfeldern der Eidgenössischen Landwirtschaftlichen Forschungsanstalt in Changins Bintje-Kartoffeln mit einer gentechnisch übertragenen Unempfindlichkeit gegen ein Virus. Eine Freisetzung ohne öffentlichen Protest! Allerdings haben unsere Beamten skurril reagiert. Die Forscher wurden gezwungen die Kartoffeln Blümchen abzuschneiden, weil sich Schweizer Beamte vor dem Pollenflug fürchten. Die Forscher haben diese staatliche Order murrend ertragen, obwohl sie völlig unsinnig ist. Bintje Kartoffeln haben nämlich kein Geschlechtsleben: Sie sind steril. Der Blümchen-Abschneide-Befehl taugte also in etwa so viel wie die Kastration eines Sterilisierten.
Die Gentechnik in der Landwirtschaft ist eine Erfolgsgeschichte. 82% der Baumwolle die weltweit wächst, ist gentechnisch verändert. Vom Ohrenstäbchen über die Tampons bis hin zur Unterwäsche und den Jeans trägt die Anti-Gentech-Protestbewegung Gentechnik und scheint sich nicht mehr zu fürchten. Jedenfalls stören Gentech-Jeans nicht, um darin Felder mit gentechnisch veränderten Pflanzen in Europa zu zerstören. Weltweit sind 75% der Sojabohnen gentechnisch verändert oder 32% des Mais und 26% des Raps. Bei uns wird dies verdrängt, auch wenn es heute schwierig ist irgend ein Naschprodukt am Kiosk zu erstehen, in dem für die Produktion die Gentechnik keine Rolle spielte. Im Schweizer Nationalstolz, der Schokolade, findet sich meist Lezithin als Emulgator, welches aus gentechnisch veränderten Sojabohnen stammt. Inzwischen kann man das Lezithin derart reinigen, dass man aber keine Spuren der Genveränderung nachweisen kann. Politischer Glaube und Schoggi sind somit reingewaschen. Heil Dir Helvetia.
Genauso wie niemand weiss, warum der Schweizer aufgehört hat Aluminium zu sammeln, wird es in den nächsten zwanzig Jahren dazu kommen, dass Genfood sogar das Biolabel erhält. Es wird sich niemand mehr finden der einst gegen die Gentechnik war. Sobald nämlich die erste Erdbeere auf dem Markt sein wird, die nicht mehr gleich wie die Verpackung schmeckt, sondern wie Walderdbeeren, wird der Konsument sich für das schmackhaftere Produkt entscheiden. Die Biobranche wird erstmalig einen messbaren Unterschied in ihren Produkten haben, ausser natürlich dem Preis. Da unser Essen zuerst durch den Kopf und dann erst durch den Magen geht, wird sich die grosse Furcht trotzdem nur langsam legen. Politisch korrekte Gentechpflanzen werden die Böden rund um die Autobahnen sanieren und die Bahnborte dank Urban Farmers in Blumenbeete verwandeln. Die Klimaveränderung wird ohnehin nach angepassten Pflanzen verlangen. Auf unseren winzigen Äckern werden Spezialitäten für die Pharma- und Kosmetikindustrie wachsen, etwa Impfstoffe und Produkte, die ein ewiges Leben versprechen. Tomaten werden sich nicht nur farblich und im Geschmack unterscheiden, den Konsumenten wird vorgegaukelt werden, sie würden Krebs und Alzheimer verhindern.
Schon jetzt kann man verschieden leuchtende transgene Fischchen fürs Aquarium kaufen und wir regen uns nicht auf, dass ein Teil unserer Kühe kloniert ist. Auch bei uns werden sich Katzen an den Urnen ihrer identischen Geschwister reiben. Da die Produktion der wichtigen Lebensmittel längst in die Entwicklungsländer verschoben ist, werden wir all das tun, was zu einem Streichelzoo passt. Bis wir also einen vernünftigen Umgang mit der Gentechnik lernen, könnte noch etwas dauern.