Mit einer gewissen Besorgnis nehmen wir das aktuelle Zerwürfnis in der GWUP (Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften) wahr. Die Grundlinien des Konflikts dürften mittlerweile vielen skeptischen Lesern bekannt sein. Wir fassen deshalb nur ganz kurz zusammen: Im Mai 2023 wurde überraschend Holm Gero Hümmler zum neuen Vorsitzenden gewählt. Sein erklärtes Programm ist, dass er seine alte, unpolitische GWUP wiederhaben wolle. Die Wahl selbst scheint taktisch geschickt (oder intrigant, je nach Blickwinkel) vorbereitet worden zu sein: es schwirrten diffuse Vorwürfe gegen Ungenannte in der Luft, es wurden Gedächtnisprotokolle zitiert, die vorher unbekannt waren und zu denen Stellungnahmen nicht möglich waren u. dgl. mehr.
Bei genauerer Betrachtung stellt sich heraus, dass es lediglich um bestimmte Politikfelder geht, die außen vor bleiben sollen. Wir nennen ein Beispiel und stützen uns dabei auf ein Gespräch des neuen Vorsitzenden mit einigen seiner Unterstützer, am 30.10.2023.
Holm Hümmler sagt:
Marie Vollbrecht, ist eine relativ populäre Biologin, die eben mit Vorträgen darüber hausieren geht, dass es in der in der Biologe halt nur 2 Geschlechter gibt. Was, wie gesagt, wenn Du über Fortpflanzungszellen sprichst, eine Trivialaussage ist, dann aber, die gleichzeitig […] gesellschaftspolitisch sehr aktiv ist gegen Rechte von Transmenschen. Und das, wenn man das eben in diesem Zusammenhang präsentiert, dann wird es halt problematisch
Denn das Geschlecht wird „zugewiesen“, so die heutige Sprachregelung. Sie scheint im Grundsatz zurückzugehen auf Judith Butler. Aber nur „[i]n der Kunst hören die Dinge auf zu sein und fangen an zu bedeuten“ (Peter Hacks), nicht in der Wirklichkeit. In letzterer wird das Geschlecht nicht zugewiesen, sondern festgestellt, und zwar in – je nach Review – 99,8 bis 99,98% aller Neugeborenen völlig unproblematisch. Das ist tatsächlich eine Trivialaussage. Problematisch wird sie erst in den Gender Studies und in den von Foucault weichgekochten humanities. Die Zweigeschlechtlichkeit ist übrigens von den Nazis in die Biologie hineingetragen worden – so wird zumindest Heinz-Jürgen Voß in der Wikipedia zitiert (hier). Am Rande sei vermerkt, dass wir den Vorgang, auf den sich die Hümmlersche Passage bezieht, kurz in unserem Blog gestreift hatten (hier).
Letztbegründungen von Ethik werden immer schwierig bleiben. Eine Ethik aber, die materielle Tatsachen verachtet, wird in der Konsequenz mehr Schaden anrichten als Gutes bewirken. Wenn sich die Gegenseite von schlichten biologischen Schulweisheiten triggern lässt, dann stimmt etwas nicht mit ihr. Herr Dr. Hümmler, ist es möglich, dass in diesem Systemversagen Fragen von Wissenschaft und Pseudowissenschaft berührt sind? Dass die wolkige Rhetorik von Judith Butler nüchtern betrachtet wissenschaftsfeindlich und reaktionär ist? Dass solche Fragen Gegenstand auch für die GWUP sein könnten, vielleicht sogar sollten?
Verbleiben wir noch einen Moment in der Hümmlerschen Biologie.
Weil jemand, der an Fortpflanzung von Schnecken forscht, Landschnecken sind halt Zwitter, dem wird ja niemand kommen und sagen, es gibt nur 2 Geschlechter. Du darfst nicht über Schnecken forschen. Das ist doch Quatsch.
Zweifellos. Man kann den Passus drehen und wenden wie man will, und man kann ihm zugutehalten, dass er das Transkript einer mündlichen Rede ist – aber einen Sinn darin finden, das kann man nicht. Auch bei zwittrigen Tieren gibt es nur zwei Geschlechter. Da sie aber in einem Organismus zusammenfallen, kann man Schneckenpopulationen nicht in zwei Gruppen teilen, und sie brauchen nur eine Sorte Klo.
Wir werfen Hümmler nicht vor, dass er keine Ahnung hat, wovon er redet. Das passiert uns allen gelegentlich. Doch es berührt unangenehm, dass er mit dieser Art von Sachkenntnis ausgerüstet seinen „Gegnern“ Diffamierung vorwirft und von ihren Aktivitäten als „Anti-GWUP“ redet. So spricht man nicht, wenn man mit Vernunft überzeugen will, sondern so spricht man, wenn man mit Krawall einschüchtern will. So spricht kein Integrator, sondern jemand, der um die Einheit und Reinheit der Partei der Organisation kämpft. Die logische Konsequenz ist die Purgierung; vielleicht, dass man ihr mit öffentlicher Selbstkritik entgehen kann.
Ein öffentliches Gespräch oder auch nur eine inhaltliche Auseinandersetzung mit – ja, Mitstreitern – wie dem Vorstandsmitglied André Sebastiani oder Wissenschaftsratsmitgliedern wie Ulrich Berger oder mit anderen prominenten Vertretern im Wissenschaftsrat findet nicht statt, soweit wir das überblicken. Doch mit genügend Sitzfleisch wird sich das Problem für das Team Hümmler von selbst lösen, denn der Wissenschaftsrat wird sich ausdünnen. Dem zweifellos weltweit bekanntesten Kritiker der medizinischen Scharlatanerie, Edzard Ernst, den die GWUP in ihren Reihen zu haben die Ehre hatte, ist der Affenzirkus [1] schon jetzt zu viel geworden, und er ist ausgetreten (hier). Der Vorstand hat ihm keine Träne nachgeweint.
André Sebastiani hat sich um den Vorsitz beworben.
Wir wünschen ihm Erfolg!
- ↑: „Personally, I cannot – not even until May – remain a member of an organisation where the man officially put in charge of the Twitter account feels entitled to collectively call his opponents ‘ideological clowns who have been playing culture war’.“ – Edzard Ernst.