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Golfspielen + Kieferfehlstellungen + Landes(zahn)ärztekammer Baden-Württemberg = pseudomedizinischer Irrsinn!

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In der letzten Woche wurden wir auf eine Firma in Baden-Württemberg aufmerksam gemacht, die Golf-Biomechanic-Academy. Diese bietet über eine Marketing-Kampagne via E-Mail Ärzten in Süddeutschland sowie in Österreich und der Schweiz Fortbildungskurse zum „Golf-Medical-Coach“ an.

Auf den ersten Blick erschien uns dies nur als ein weiteres unter vielen Kursangeboten, die Ärzte für sog. „IGeL-Leistungen“ instruieren sollen. Misstrauisch wurden wir jedoch, als wir in der E-Mail folgenden Hinweis entdeckten:

Die seitherigen Schulungen waren von der Landesärztekammer Baden-Württemberg mit 24 Fortbildungspunkten bewertet.

Okay, wir sind es ja mittlerweile gewohnt, dass die diversen Landesärztekammern in Deutschland (und auch in Österreich und der Schweiz) so manchen Blödsinn als offizielle Fortbildung zertifizieren. Und es scheint ja (oberflächlich betrachtet) auch nicht verwerflich, der immer größer werdenden Schar der Golfspieler im deutschsprachigen Raum eine fundierte Beratung zukommen lassen zu wollen (wobei es uns schon seltsam erschien, warum ein Arzt mit einem verlängerten Wochenende auf dem Golfplatz fast 50% seiner jährlichen Weiterbildungsverpflichtung abdecken können sollte – aber das sind vermutlich eher unwichtige Details).

Ja, wenn da im Kursprogramm der „Golf-Biomechanic-Academy“ nicht noch andere Angebote zu finden gewesen wären. Denn dort kann man sich u.a. auch zum „Golf-Mental-Coach“ ausbilden lassen. Und noch viel besser: selbst Zahnärzte müssen bei diesem „innovativen“ Fortbildungskonzept nicht außen vor bleiben – sie können sich nämlich zum „Golf-Med-Dental-Coach“ ausbilden lassen (und dafür gibt es von der Landeszahnärztekammer Ba-Wü sogar 26 Fortbildungspunkte!).

Was hat nun Golfspielen mit Zahnmedizin zu tun? Die Antwort liefert uns der Anbieter selbstverständlich sofort:

Sie werden in der Lage sein, Patienten in den spezifischen Bereichen des Golfsports wie Balance, Torsionen, Gesundheitsvorbeugung und medizinische Maßnahmen bei Verletzungen durch Ungleichgewichte im Kausystem fachkompetent zu behandeln und zu beraten.

Der Fokus dieser Weiterbildung bezieht sich auf das Thema „ursächliche Therapie“ und Verletzungsvorbeugung durch biomechanische Grundlagen.

Themen, wie “die Störung des Kausystems und deren Auswirkungen auf die gesamte Körperstatik“, sind ein wichtiger Teil dieses Seminars. Das Netzwerk mit Orthopäden, Kardiologen und Internisten bildet ebenfalls einen Schwerpunkt der Weiterbildung.

Nahezu jeder Golf-Pro fordert seinen Schüler dazu auf, immer in Balance zu stehen und in Balance zu schwingen. Wenn der Schüler jedoch schon von Anfang an nicht die nötigen Vorraussetzungen im Kausystem mitbringt, wird er dies nie umsetzen können. In der Bewegungslehre addieren sich motorische Fehler umso mehr, wenn eine Schwungbewegung nicht im Gleichgewicht startet.

Da ein Kieferschiefstand oft gar nicht richtig erkannt wird und auf dessen Schwungauswirkungen gar nicht erst untersucht wird, ist diese umfängliche Weiterbildung für den gesamten Golfsport und bei der Einführung eines funktionalen Gesundheitsmanagements umso mehr von großer Bedeutung.

Bei dieser Schulung werden Sie außerdem in die Lage versetzt, Bewegungsfehler der historischen Golfbiomechanik zu erkennen, zu analysieren und zu korrigieren.

Es werden Ihnen Lehrproben der modernen Golfbiomechanik vorgestellt, damit Sie sich in die Arbeit von Golflehrern hineinversetzen können. Sie sollen Schwungabläufe verstehen und erfühlen, um Ihrem Patienten therapeutisch & beratend dieses Verständnis in Verbindung mit den Störungen des Kausystems weiter geben können.

(Hervorhebungen von uns.)

Wow! Also verstehen wir das jetzt richtig: wenn Tiger Woods plötzlich nicht mehr richtig einlocht (also zumindest auf dem Golfplatz), dann liegt das vor allem daran, dass seine Kiefergelenke nicht korrekt aufeinander stehen? Hat er vielleicht einen Überbiss? Oder knirscht er heimlich mit den Zähnen?

Wie kann ihm dann geholfen werden – mit einer Zahnspange?!?

Sogar für esoterisches Buzzwording ist sich die Firma nicht zu schade – aus der o.g. E-Mail:

Die FREE-RELEASE-Methode betrachtet den Golfer ganzheitlich. Störungen des Kausystems haben Auswirkungen auf die Körperstatik. Hierbei spielt der Zahnarzt und Kieferorthopäde eine wichtige Rolle um eine physiologische und energetische High-End Schwungqualität zu erzielen.

“Ganzheitlich” – kommt immer gut. “Energetisch” – das muss heute schon sein. Und das Ganze auch noch “High-End” – da wird sogar meine alte Stereoanlage neidisch!

Die “Free-Release-Methode” ist so toll, davon können sogar Augenärzte und Optiker profitieren:

Drollinger hat wie kein anderer die Biomechanik des Golfschwungs in den Mittelpunkt der Schwungmotorik gerückt. Hierbei ist die Positionierung der Augenachse ein wichtiger Parameter um optimale und messbare „Set Up Balance“ und „Rückschwungbalance“ zu generieren.

Die Wahl der hierfür am besten geeigneten Brille ist sowohl bei Tour-Spielern, als auch bei Amateuren eine Entscheidung über Gleichgewicht und Disbalance. Disbalance hat die Folge von Bewegungsfehlern die sich addieren. Die Bedeutung des zertifizierten „GOLF-OPTIC-EXPERT“ ist aus diesem Grund von großer Bedeutung.

(Hervorhebungen diesmal nicht von uns, sondern original aus der Mail übernommen.)

Auch für Orthopädieschumacher und Sanitätsfachberater gibt es ein Stück vom Kuchen:

Sie werden außerdem in die Lage versetzt, Bewegungsfehler der Golfschwungmotorik zu korrigieren und die Zusammenhänge mit der Hardware – Schuh und Einlagensohle – zu erkennen.

Es werden mit Ihnen Lehrproben trainiert, damit Sie den Kundenkontakt trainieren können. Erfahrene Experten aus dem Sanitätsfacheinzelhandel berichten über die praktische Umsetzung dieses Erfolgsmodells in Ihrem eigenen Fachgeschäft.

Klar doch – wenn eine Methode so toll und innovativ ist, muss man auch alle Möglichkeiten nutzen, die Kuh maximal zu melken diese Segnung unter das Golf-Volk zu bringen. Dass es zu der tollen “Free-Release-Methode (TM)” keinerlei seriöse wissenschaftliche Arbeiten gibt, stört da nur mäßig.

Und damit bleibt wieder einmal die große Frage: warum wird solcher Unsinn von deutschen Landesärztekammern überhaupt zertifiziert, so dass niedergelassene (Zahn-)Ärzte in Deutschland mit der Teilnahme an einem solchen „Kurs“ fast die Hälfte ihrer jährlichen Weiterbildungspflicht abdecken können?

Im günstigsten Fall vielleicht deshalb, weil in den Landesärztekammern viele Golf-Fans sitzen. Den schlimmeren Fall möchten wir uns gerade einmal gar nicht ausmalen …


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