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Fluoride und die erschreckende Meldung aus Harvard

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Angeregt durch einen Gesundheitsartikel in der österreichischen Krone, der mit einer reißerischen Überschrift (begleitet vom Bild eines zähneputzenden Kindes) andeutet, dass Fluoride laut einer Harvard-Studie die neurologische Entwicklung von Kindern stören können, wollen wir uns auch mal die Evidenz in dem Bereich ansehen.

Es könnte ja sein, dass sich durch die Überschrift oder andere Texte, die so im Internet zu finden sind, Leute verunsichern lassen und dann doch lieber keine Zahnpasta mehr verwenden.

Zur Verteidigung der Krone muss man vielleicht noch sagen, dass der Artikel an sich dann nicht schlecht ist und den wissenschaftlichen Konsens darlegt. Von der reißerischen Andeutung in der Überschrift bleibt jedenfalls nichts übrig …

Die erwähnte Harvard-Studie zu Fluoriden wird im Internet an vielen Stellen pseudowissenschaftlich verwurstet und als Beweis verwendet, dass Fluorid Kinder dumm macht. Im englischsprachigen Raum wurde diese Behauptung durch “Qualitätsseiten” wie Mercola oder NaturalNews als Horrorgeschichte publiziert.

In den USA wurde/wird die Diskussion viel schärfer geführt als bei uns, da Fluoride dort dem Trinkwasser zugesetzt werden, was von vielen abgelehnt wird.

Im deutschsprachigen Raum schlägt natürlich der Kopp-Verlag zu und übersetzt einen Artikel des “Gesundheitsenthusiasten” Ethan A. Huff, der schon mit Artikeln zu Impfungen und HIV-Tests mit großer Unwissenheit geglänzt hat.

Was hat es nun wirklich damit auf sich?

Im Endeffekt scheint es wieder die alte Formel zu sein: “Die Dosis macht das Gift”. Ein wenig ist gut, zu viel ist schädlich. Entsprechendes kennt man von praktisch jedem Stoff, den man aufnimmt.

Bei der zitierten Harvard-Studie handelt es sich tatsächlich um ein Meta-Review, das 27 weitgehend in China durchgeführte Studien betrachtete.
(Anmerkung: In der Analyse sind auch zwei Studien, die das Einatmen von Fluoriden bei Verbrennung von Kohle betrachteten, enthalten. Wir werden im Folgenden aber im Wesentlichen von den Trinkwasserstudien sprechen)

Warum in China? Weil dort in manchen Gegenden der Fluoridgehalt im Wasser extrem hoch ist, was auch in der Metaanalyse ausgedrückt wird:

Such circumstances are difficult to find in many industrialized countries, because fluoride concentrations in community water are usually no higher than 1 mg/L, even when fluoride is added to water supplies as a public health measure to reduce tooth decay.

Man hat in der Studie Gegenden betrachtet, in denen der Flourgehalt des Wassers bei bis zu 11 mg/L Wasser lag; ein Wert, den man in Europa und den USA nicht finden wird.

Als Kontrollgruppe wurden Kinder betrachtet, die “normale” Fluoridmengen unter 1 mg/L im Wasser erhielten, wie sie z.B. auch in Deutschland üblich sind. In Deutschland enthält 90% des Wassers weniger als 0,25 mg/L Fluor.

Die Metaanalyse der 27 Studien war zweifellos schwierig, da die Studien so verschieden waren (Study heterogeneity) und viele Studien waren wohl auch von minderer Qualität. So folgert die Analyse dann auch im Ergebnis nur vorsichtig:

“The results support the possibility of an adverse effect of high fluoride exposure on children’s neurodevelopment. Future research should include detailed individual-level information on prenatal exposure, neurobehavioral performance, and covariates for adjustment.”

Trotz der Schwächen des Reviews ist das Ergebnis über die 27 Studien sehr konsistent, bei 26 Studien zeigte sich eine signifikante Verminderung des IQs. Der durchschnittliche Verlust war dabei 7 IQ Punkte mit einer Standardabweichung von 15 Punkten.

Das Ergebnis dieser Analyse ist also durchaus interessant und sollte Anlass für weitere Forschung geben. Die empfohlenen Grenzwerte sind aber sowieso schon weit niedriger.

Eine kleine Milchmädchenrechnung:
Eine typische Zahnpasta enthält etwa 1000-1500 Milligramm pro Kilogramm Zahnpasta, bei Kindern mit ca. 500 mg/kg entsprechend weniger. Spezielle Zahnpasta für Kinder macht also tatsächlich Sinn, da die Bemessung der Zusatzstoffe entsprechend optimiert ist.

Pro Putzvorgang benutzt man etwa 1 Gramm/1 Milliliter Zahnpasta; wenn man also zweimal täglich putzt, kommt man als Erwachsener auf 2-3 mg Fluorid in der Zahnpasta. Da man üblicherweise das Zahnputzwasser nicht trinkt, wird natürlich eine viel kleinere Menge aufgenommen.

Sollten Sie allerdings die Angewohnheit haben, täglich mehrere Gramm Zahnpasta zu essen, kann man auf Basis obiger Metaanalyse davon nur abraten.


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