Liebe Leser, wir möchten euch heute auf eine Aktion unserer französischen Nachbarn aufmerksam machen:
GéPS hat dazu beigetragen, dass der weltumspannende tantrische Guru Gregorian Bivolaru (MISA / Atman) Ende November 2023 in Paris verhaftet wurde. Méta de Choc hat seinerseits mehrfach über Sexualität, Sexismus und sexuelle Gewalt berichtet und vor allem eine Serie über die Yoga-Sekte Agama veröffentlicht, deren Guru ein ehemaliger Mitarbeiter von Bivolaru ist.
Zweifellos werden Bivolarus Anwälte versuchen, seine Verantwortung herunterzuspielen und hervoheben, dass Tantra unter Erwachsenen praktiziert wird um so die Verantwortung auf seine Opfer zu schieben.
Tantra zieht immer mehr Menschen an, sei es, um in einem freien und zugleich ritualisierten Rahmen neue Erfahrungen zu machen, Ängste zu überwinden oder sogar Traumata zu heilen. Natürlich kann alles gut gehen, aber diese Praxis ist, wie man sich denken kann, auch ein gefundenes Fressen für Manipulatoren, die von Geldgier, Machtstreben oder der Möglichkeit, sich kostengünstig einen Harem zu schaffen, geleitet werden.
Parallel dazu nehmen missbräuchliche Techniken im Tantra-Milieu immer mehr zu: Unabhängig von einzelnen tantrischen Meistern kann man in Frankreich fast ein Dutzend solcher Gruppen ausmachen.
Für die Opfer ist es oft schwierig, das Gefühl der Scham zu überwinden, die Erschöpfung, so zu tun, als ob alles in Ordnung wäre, die Verzweiflung, nicht gehört zu werden oder keinen Glauben zu finden, angesichts eines Justizsystems und der Ordnungskräfte, die in solchen Situationen oft hilflos sind.
Es ist daher von entscheidender Bedeutung, dass die Opfer eines bestimmten Tantra-Lehrers/Masseurs heute ihre Stimme erheben und feststellen, dass sie nicht allein sind. Sie sollen ihre Erfahrungen öffentlich machen, um den Tätern zu zeigen, dass sie nicht mehr ungestraft handeln können.
Wir laden daher alle Personen, die selbst Opfer oder Zeugen von Missbrauch, Manipulation oder Vergewaltigung in einem Umfeld geworden sind, das sich auf Tantra oder verwandte Ansätze beruft, dazu ein, diese Veröffentlichung mit einem einfachen #MetooTantra zu kommentieren und, wenn sie möchten, auch einige Hintergrundinformationen zu geben.
Wir hoffen, dass dieser Hashtag #MetooTantra ein öffentliches Sprechen ermöglicht, eine Volkswelle, um Gewalt im Tantra und das Schweigen, das es umgibt, einzudämmen.
Die „Yoga/Tantra“ Schulen der Atman-Bewegung Bivolarus sind auch in Deutschland aktiv. Ihre Umtriebe sind seit Jahren bekannt, weswegen sie vom European Yoga Council schon lange ausgeschlossen wurden. Tantra wird in Deutschland von vielen Gruppen propagiert, zB vom Diamantweg des Ole Nydahl. Wer sich mit Menschen vernetzen möchte um seine Erfahrungen auszutauschen hat jetzt Gelegenheit dazu.
Herr Gascan ist übrigens im Hauptberuf Leiter einer Einrichtung des französischen CNRS, vergleichbar vielleicht mit dem MPI in Deutschland. Das Thema interessiert ihn, seitdem Mitarbeiter von ihm in die Fänge dieser Leute gerieten.
Mit einer gewissen Besorgnis nehmen wir das aktuelle Zerwürfnis in der GWUP (Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften) wahr. Die Grundlinien des Konflikts dürften mittlerweile vielen skeptischen Lesern bekannt sein. Wir fassen deshalb nur ganz kurz zusammen: Im Mai 2023 wurde überraschend Holm Gero Hümmler zum neuen Vorsitzenden gewählt. Sein erklärtes Programm ist, dass er seine alte, unpolitische GWUP wiederhaben wolle. Die Wahl selbst scheint taktisch geschickt (oder intrigant, je nach Blickwinkel) vorbereitet worden zu sein: es schwirrten diffuse Vorwürfe gegen Ungenannte in der Luft, es wurden Gedächtnisprotokolle zitiert, die vorher unbekannt waren und zu denen Stellungnahmen nicht möglich waren u. dgl. mehr.
Bei genauerer Betrachtung stellt sich heraus, dass es lediglich um bestimmte Politikfelder geht, die außen vor bleiben sollen. Wir nennen ein Beispiel und stützen uns dabei auf ein Gespräch des neuen Vorsitzenden mit einigen seiner Unterstützer, am 30.10.2023.
Holm Hümmler sagt:
Marie Vollbrecht, ist eine relativ populäre Biologin, die eben mit Vorträgen darüber hausieren geht, dass es in der in der Biologe halt nur 2 Geschlechter gibt. Was, wie gesagt, wenn Du über Fortpflanzungszellen sprichst, eine Trivialaussage ist, dann aber, die gleichzeitig […] gesellschaftspolitisch sehr aktiv ist gegen Rechte von Transmenschen. Und das, wenn man das eben in diesem Zusammenhang präsentiert, dann wird es halt problematisch
Denn das Geschlecht wird „zugewiesen“, so die heutige Sprachregelung. Sie scheint im Grundsatz zurückzugehen auf Judith Butler. Aber nur „[i]n der Kunst hören die Dinge auf zu sein und fangen an zu bedeuten“ (Peter Hacks), nicht in der Wirklichkeit. In letzterer wird das Geschlecht nicht zugewiesen, sondern festgestellt, und zwar in – je nach Review – 99,8 bis 99,98% aller Neugeborenen völlig unproblematisch. Das ist tatsächlich eine Trivialaussage. Problematisch wird sie erst in den Gender Studies und in den von Foucault weichgekochten humanities. Die Zweigeschlechtlichkeit ist übrigens von den Nazis in die Biologie hineingetragen worden – so wird zumindest Heinz-Jürgen Voß in der Wikipedia zitiert (hier). Am Rande sei vermerkt, dass wir den Vorgang, auf den sich die Hümmlersche Passage bezieht, kurz in unserem Blog gestreift hatten (hier).
Letztbegründungen von Ethik werden immer schwierig bleiben. Eine Ethik aber, die materielle Tatsachen verachtet, wird in der Konsequenz mehr Schaden anrichten als Gutes bewirken. Wenn sich die Gegenseite von schlichten biologischen Schulweisheiten triggern lässt, dann stimmt etwas nicht mit ihr. Herr Dr. Hümmler, ist es möglich, dass in diesem Systemversagen Fragen von Wissenschaft und Pseudowissenschaft berührt sind? Dass die wolkige Rhetorik von Judith Butler nüchtern betrachtet wissenschaftsfeindlich und reaktionär ist? Dass solche Fragen Gegenstand auch für die GWUP sein könnten, vielleicht sogar sollten?
Verbleiben wir noch einen Moment in der Hümmlerschen Biologie.
Weil jemand, der an Fortpflanzung von Schnecken forscht, Landschnecken sind halt Zwitter, dem wird ja niemand kommen und sagen, es gibt nur 2 Geschlechter. Du darfst nicht über Schnecken forschen. Das ist doch Quatsch.
Zweifellos. Man kann den Passus drehen und wenden wie man will, und man kann ihm zugutehalten, dass er das Transkript einer mündlichen Rede ist – aber einen Sinn darin finden, das kann man nicht. Auch bei zwittrigen Tieren gibt es nur zwei Geschlechter. Da sie aber in einem Organismus zusammenfallen, kann man Schneckenpopulationen nicht in zwei Gruppen teilen, und sie brauchen nur eine Sorte Klo.
Wir werfen Hümmler nicht vor, dass er keine Ahnung hat, wovon er redet. Das passiert uns allen gelegentlich. Doch es berührt unangenehm, dass er mit dieser Art von Sachkenntnis ausgerüstet seinen „Gegnern“ Diffamierung vorwirft und von ihren Aktivitäten als „Anti-GWUP“ redet. So spricht man nicht, wenn man mit Vernunft überzeugen will, sondern so spricht man, wenn man mit Krawall einschüchtern will. So spricht kein Integrator, sondern jemand, der um die Einheit und Reinheitder Partei der Organisation kämpft. Die logische Konsequenz ist die Purgierung; vielleicht, dass man ihr mit öffentlicher Selbstkritik entgehen kann.
Ein öffentliches Gespräch oder auch nur eine inhaltliche Auseinandersetzung mit – ja, Mitstreitern – wie dem Vorstandsmitglied André Sebastiani oder Wissenschaftsratsmitgliedern wie Ulrich Berger oder mit anderen prominenten Vertretern im Wissenschaftsrat findet nicht statt, soweit wir das überblicken. Doch mit genügend Sitzfleisch wird sich das Problem für das Team Hümmler von selbst lösen, denn der Wissenschaftsrat wird sich ausdünnen. Dem zweifellos weltweit bekanntesten Kritiker der medizinischen Scharlatanerie, Edzard Ernst, den die GWUP in ihren Reihen zu haben die Ehre hatte, ist der Affenzirkus [1] schon jetzt zu viel geworden, und er ist ausgetreten (hier). Der Vorstand hat ihm keine Träne nachgeweint.
André Sebastiani hat sich um den Vorsitz beworben.
Wir wünschen ihm Erfolg!
↑: „Personally, I cannot – not even until May – remain a member of an organisation where the man officially put in charge of the Twitter account feels entitled to collectively call his opponents ‘ideological clowns who have been playing culture war’.“ – Edzard Ernst.
Zusammen bringen wir viel Erfahrung im breit gefächerten wissenschaftlichen Diskurs und unterschiedliche Blickwinkel auf das Thema mit, die wir hier zur Anwendung bringen wollen, um eine gerechte, sachliche Debatte zu fördern. Nichtdestotrotz haben wir uns dazu entschieden, diesen Text nicht mit unseren Klarnamen bei Volksverpetzer zu veröffentlichen.
Das Doofe ist, dass gar keine Debatte stattfinden kann, weil es auf der Seite vom Volksverpetzer keine Kommentarfunktion gibt und weil der Twixxer-Account des Volksverpetzers in dem Post die Kommentare auf Accounts, denen er folgt, beschränkt hat.
Da wir bei Psiram auf eine lange und geile Tradition gerechter und sachlicher Debatten zurückblicken können, und das in der wunderbar geschlechts-, gesichts- und autoritätslosen Welt der Anonymität, können wir einfach und niederschwellig den Kommentarbereich unseres Blogs für eine Diskussion zur Verfügung stellen.
Hart in der Sache, sanft zur Person, wie ein kluger Mann kürzlich sagte.
Unsere NWO-Hacker haben sich Zugriff auf die Vorstandssitzungsprotokolle der GWUP und die Protokolle der GWUP-Wissenschaftsratsitzungen verschaffen können. Wir veröffentlichen hier einige Auszüge, um es Mitgliedern der GWUP zu ermöglichen, sich eine Einschätzung zu den internen Abläufen zu bilden. Eigentlich müssten diese innerhalb der GWUP frei verfügbar sein, sollte man annehmen. Doch der Informationsaustausch innerhalb des Vereins wird offenbar durch die Vorstandsmehrheit unter dem Vorsitzenden Holm Hümmler unterbunden, sodass den Mitgliedern kein klares Bild von den Vorgängen vermittelt wird. Das wäre für die Beurteilung der Vorstandsarbeit und die Wahl des Vorstands am 11. Mai erforderlich. Deswegen machen wir ausgewählte Stellen hier sichtbar.
Gesamtbewertung
Besonders die Dokumente zu den Monaten Oktober 2023 bis Januar 2024 zeichnen ein ernüchterndes Bild: Die Vorstandsmehrheit um Holm Hümmler geht scharf gegen Abweichlinge vor und schränkt den Diskurs im Verein erheblich ein. Eine Minderheit im Vorstand – angeführt von André Sebastiani, der sich für freie Debatte in der GWUP ausspricht und Holm Hümmler bei der Vorstandswahl am 11. Mai 2024 herausfordern wird – protestiert dagegen, kann sich aber nicht durchsetzen.
Wie wird im Vorstand der GWUP gearbeitet und diskutiert?
Offenbar nicht von allen Seiten gleichermaßen engagiert und professionell. Die ersten vier Protokolle, die sich auf die Monate Juni 2023 bis August 2023 beziehen, sind ein komplettes Chaos. Das Protokoll einer Sitzung sei nicht mehr auffindbar gewesen, erfahren wir. Danach wechselte die Protokollführung von Claudia Preis (CP) zu Nikil Mukerji (NM), wie das Protokoll für September 2023 erklärt:
Die Protokolle ab September 2023 sind dagegen gut lesbar. Diskussionen werden so beschrieben, dass man auch als Außenstehender folgen kann. Es sieht so aus, als ob es zu keinem Zeitpunkt eine konzeptionelle Grundlage für die Vorstandsarbeit gab. Denn seit der Übernahme der Amtsgeschäfte folgte diese keinem ausgearbeiteten Plan. Einen solchen hatte der Wissenschaftsrat (WR) – das satzungsmäßige Kontrollorgan der GWUP, das wissenschaftliche Integrität kontrolliert – frühzeitig vom Vorstand erbeten, wie aus dem Protokoll für Oktober hervorgeht. Hümmler wies dies zurück und wird mit den Worten zitiert, man wolle „nicht nur bedrucktes Papier produzieren“. Wie der Vorstand einer großen Wissenschaftsorganisation auf dieser Grundlage arbeiten soll, muss einem schleierhaft erscheinen.
Die Diskussionsatmosphäre muss durchweg unangenehm gewesen sein. Es finden sich viele Hinweise darauf, dass es der Vorstandsmehrheit um Holm Hümmler nicht darum ging, ergebnisoffene Debatten zu führen und die besten Lösungen zu finden. Wichtige Diskussionen wurden ersichtlich mehrfach durch Anträge zur Tagesordnung beendet, wie z. B. die Protokolle Oktober und Dezember 2023 zeigen:
Zudem scheint es die Vorstandsmehrheit um Hümmler nicht gerade darauf angelegt zu haben, die Kollegen Sebastiani, Schäfer und Mukerji in die Abläufe der Vorstandsarbeit einzubinden. Sebastiani beschwerte sich an verschiedenen Stellen, dass Beschlussanträge nicht im Vorfeld bekannt gegeben wurden, sondern in den Sitzungen schlicht verkündet wurden.
Die Ausführlichkeit der Protokolle wurde Holm Hümmler lästig, wie es scheint:
Bezeichnenderweise wechselte die Protokollführung ab der nächsten Sitzung. Nikil Mukerj wurde von diesem Zeitpunkt an offenbar nicht mehr gebeten, mitzunotieren. Vermutlich waren in seinen Protokollen zu viele Details enthalten, die der Vorstand mehrheitlich nicht dokumentiert sehen wollte.
Welche Beschlüsse wurden gefasst – und durch wen?
Bei der Durchsicht der Protokolle fällt ein interessantes Muster auf: No-Brainer-Beschlüsse (z. B. hinsichtlich administrativer Aufgaben) werden einstimmig gefasst, kontroverse Beschlüsse dagegen durch eine immer gleiche Mehrheit, die aus Holm Hümmler (Vorsitzender) selbst und seinen Unterstützern Claudia Preis (Stellvertreterin), Annika Harrison (AH, Beisitzerin), Ralf Neugebauer (Beisitzer) und Jochen Blom (JB, Beisitzer) besteht. Das ist deswegen bekannt, weil Sebastiani regelmäßig auf namentlicher Abstimmung bestand. Das beschriebene Muster findet sich in den Protokollen ab Oktober 2023, als Hümmler die Anzahl der strittigen Abstimmungen plötzlich deutlich erhöhte. Noch kurz nach der Mitgliederversammlung im Juni 2023 hatte Holm Hümmler in einer E-Mail an die Mitglieder der GWUP verlautbaren lassen, dass es Ziel sei, Entscheidungen nicht durch Mehrheit zu erzwingen. Zu den kontroversesten Beschlüssen gehörte vermutlich der Wechsel des Social-Media-Teams.
Vereinsinterne Kritiker werden abgeschaltet
Dieser Beschluss sieht für sich genommen harmlos, unscheinbar aus. Doch die Diskussion dazu hat es in sich (kein Wunder, dass Hümmler sowas nicht in den Protokollen haben wollte …). Dem Social-Media-Beauftragten wurde die Aufgabe offenbar deswegen entzogen, weil er einen Hinweis auf eine Veranstaltung einer Regionalgruppe der GWUP in Kooperation mit dem populärwissenschaftlichen Institut Kortizes und der Langen Nacht der Wissenschaften postete. Kurios dabei ist, dass sich ein solcher Verweis auch auf dem Blog der GWUP findet.
Bernd Harder stellte diesen dort ein: web.archive.org . Ihm scheint aber niemand einen Strick daraus gedreht zu haben, und der Blog-Post ist immer noch online.
Bezeichnend ist auch, dass Hümmler die Absetzung des bisherigen Social-Media-Managers sofort mit einem Vereinsausschluss verbindet. Dieser wurde, so geht aus dem November-Protokoll hervor, sofort nach Fristablauf beschlossen, allerdings dann wieder zurückgenommen. Hümmler hat sich erkennbar nicht dazu geäußert, weshalb. Es liegt nahe, dass zu diesem Zeitpunkt bereits Zweifel bestanden, ob die eigene Seite durch den harten Kurs gegen vereinsinterne Kritiker eventuell Schaden nehme.
Ebenso ist bezeichnend, dass Hümmler eine Beendigung der bisher intensiven Zusammenarbeit mit dem Institut Kortizes in den Raum stellte (Veranstaltungen von Kortizes werden auf dem Blog der GWUP über 100 mal erwähnt) und einen weiteren Kooperationspartner „canceln“ wollte: den Inhaber des Büchertisches bei der jährlichen SkepKon (der Hauptkonferenz der GWUP). Im Protokoll ist dazu vermerkt, dieser habe sich nach Ansicht Hümmlers „gegen die GWUP positioniert“. Konkreter wird es nicht. Aber es liegt nahe, dass es sich bei besagter Person um den Verleger Gunnar Schedel handelt, der, wie Kenner der skeptischen Szene wissen, seit den 90er Jahren GWUP-Mitglieder mit Büchern versorgt und fast schon zum Inventar der Skepkon gehört. Wie Sebastiani richtigstellt, hat sich Schedel auch nicht „gegen die GWUP positioniert“, sondern lediglich gegen den Vorsitzenden. Gemeint ist sicherlich dieser Text, der nach der Wahl Hümmlers im HPD erschien:
Der Wissenschaftsrat berät laut Satzung die GWUP in wissenschaftlichen Fragen und soll dafür sorgen, dass die Arbeit des Vereins wissenschaftlich integer bleibt. Spätestens durch die Wende in der Vereinspolitik, die durch die Wahl Hümmlers eingeleitet wurde, hat der Rat offenbar erhebliche Bedenken, dass Wissenschaftlichkeit weiter gewährleistet ist, und versucht seither, Stellungnahmen an die Mitglieder der GWUP zu verschicken. Er befindet sich auch im Streit mit einem seiner Mitglieder, das er von Sitzungen ausgeschlossen hat. Beides missfällt Hümmler. Wie die Protokolle zeigen, erlaubt er dem Rat nicht, mit der gesamten Mitgliedschaft zu kommunizieren.
Außerdem hat Hümmlers Mehrheit über den Kopf des Wissenschaftsrats hinweg ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben. Wie André Sebastiani gemeinsam mit Nikil Mukerji (Vorsitzender des Wissenschaftsrats) erklärt, hatte der Wissenschaftsrat keine Möglichkeit, die rechtlichen Fragen und die faktischen Voraussetzungen, die zum Gutachten führten, zu prüfen oder mitzuformulieren. Nikil Mukerji warnt in der Sitzung von Anfang Januar 2024 genau davor.
Eingriff in die Programmauswahl der SkepKon
Typischerweise werden die Beiträge auf wissenschaftlichen Konferenzen durch ein fachkundiges Gremium ausgewählt, das sich intensiv mit allen Einreichungen befasst und diese nach Qualität und Relevanz bewertet. Das war offenbar auch bei der GWUP über Jahre hinweg Praxis. Im Rahmen der Vorbereitung der SkepKon 2024 wurde ebenfalls ein Auswahlgremium eingesetzt, das sich mit den Einreichungen befasste und eine Programmauswahl erarbeitete. Der Vorsitzende Holm Hümmler akzeptierte diese allerdings nicht und brachte in der Sitzung vom Dezember 2023 den Beschlussantrag ein, zwei Vorträge streichen zu lassen. Die Passagen des Protokolls aus der Sitzung im Dezember 2023 sprechen für sich.
Fazit
Dass die GWUP in einer schwierigen Situation ist, war uns schon vor der Durchsicht der Protokolle klar. Andre Sebastiani hatte in seinen öffentlichen Auftritten davon einiges bereits angedeutet, und auch andere Unzufriedene hatten sich zu manchen Details geäußert. Das Ausmaß, die Unkollegialität und die Zielstrebigkeit der Zensurbemühungen, die in den Protokollen dokumentiert sind, überraschen uns dann aber doch gelinde; und in dem ganzen vorstehenden Beitrag haben wir noch mit keiner Silbe Stellung genommen zur inhaltlichen Berechtigung der Kritik, an der wir keine Zweifel haben. Wir wünschen der GWUP, die wir bisher immer als – wenn auch manchmal zahme – Partnerin in der Aufklärung verstanden haben, dass sie bei der Mitgliederversammlung am 11. Mai wieder auf den Kurs der Vernunft und der Wissenschaft zurücksteuert, den ihre Gründer im Jahr 1987 eingeschlagen haben.
Martin Mahner hatte es gewagt, die heilige Kuh (shoutout an alle Menschen mit hinduistischem Familienhintergrund), das 2023er Triggerwort, den neurechten Kampfbegriff, ein stolzes Wort der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung den Sammelbegriff WOKE zum Thema eines wissenschaftstheoretischen Vortages zu machen.
Jeder normale Skeptiker hätte gedacht: “ Toll, endlich macht sich mal jemand die Mühe, dieses Knäuel aufzudröseln und einer Betrachtung zugänglich zu machen.“ Stattdessen wurde er in einem anonym beim Fact-Checker-Portal Volksverpetzer veröffentlichten Text hart und unfair angegriffen. Zu allem Übel hat sein ehemaliger Vorgesetzter Holm Hümmler diesen Text auch noch retweetet, anstatt sich schützend vor seinen Mitarbeiter zu stellen. Das macht man nicht.
Die anonymen Autor_innen sagen: „Wir sind ein Kollektiv aus Wissenschaftler_innen verschiedener Disziplinen. Einige von uns forschen und lehren im Bereich der von Mahner direkt angegriffenen Disziplinen, andere sind in anderen Forschungsbereichen tätig.“
Offenbar wollen die Autor_innen also wissenschaftliche Autorität für sich in Anspruch nehmen – sehr praktisch, wenn man das aus der Anonymität heraus tut, sodass das niemand prüfen kann. Dann sollte man aber gut und stringent argumentieren, sauber bequellen und nicht bescheißen. Einen Vertrauensvorschuss durch akademische Abschlüsse gibt´s in der Anonymität nicht. Vertrauen ist schwer aufzubauen und schnell verloren.
Praktischerweise haben der Blog und die Seite des Volksverpetzers unterschiedliche Hintergrundfarben, so dass man sie visuell gut unterscheiden kann.
Seht selbst:
Blog:
Kopie auf Volksverpetzer:
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Kopie auf Volksverpetzer:
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Kopie auf Volksverpetzer:
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Kopie auf Volksverpetzer:
Vielleicht tun wir den Autor_innen aber auch Unrecht, weil wir die Usancen der Critical Studies nicht verstehen. Kürzlich wurde ja bekannt, dass Claudine Gay (ehemalige Harvard Präsidentin und eine Vertreterin der woke Critical Social Justice Bewegung) es in ihren Schriften genauso gemacht hat. Vielleicht ist das einfach best (possible) practice:
„Gender Trouble“ ist der Originaltitel des Buches über Das Unbehagen der Geschlechter von Judith Butler. Wir wollen an einem Beispiel zeigen, welche Früchte diese konstruktivistische Philosophie in den letzten 30 Jahren so getragen hat.
Die Veröffentlichung der „S2k-Leitlinie Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter: Diagnostik und Behandlung“ war für den 31.12.2023 geplant (hier). „S2k“ bedeutet „konsensbasiert“; die höhere Stufe in der Wissenschaftshierarchie wäre „evidenzbasiert“. Mit Schreiben vom 20. März 2024 teilte der Vorsitzende der Leitlinienkommission der Fachöffentlichkeit mit, der Entwurf (Volltext hier) könne bis zum 19. April kommentiert werden. Wie ernst das gemeint war, ist schwer zu sagen, denn „eine Änderung von Formulierungen der einzelnen Empfehlungen“ war „nicht mehr vorgesehen“, so das Anschreiben. Eine „Aufbereitung und spätere Darstellung der Inhalte eingegangener Kommentare“ ist aber angekündigt, wenn auch bisher kein Datum für die endgültige Publikation bekannt ist.
Inzwischen haben sich einige unvorhergesehene Dinge ereignet. Der Cass-Review ist erschienen, der die Evidenz zum Vorgehen der Gendermedizin gesichtet hat. Er wirft zahlreiche Fragen grundsätzlicher Natur auf. Eine 15-köpfige Gruppe von Experten kritisiert den Leitlinienentwurf heftig (hier). Der Deutsche Ärztetag verlangt einen zurückhaltenderen Einsatz von Pubertätsblockern und geschlechtsumwandelnden Therapien (hier). Insgesamt wird man wohl sagen dürfen: eine unübersichtliche Lage.
Wir haben uns entschlossen, die Verwirrung wenn möglich noch zu vergrößern und einige Einwände gegen diesen Entwurf zu formulieren, solange er noch dümpelt, und wir greifen dafür einige der zentralen Punkte aus dem 320 Seiten langen Text heraus. In der Einleitung heißt es:
Die Geschlechtsinkongruenz (GI) gilt als per se nicht krankheitswertig (S. 3)
Diese „Entpathologisierung“ führt zu paradoxen Ergebnissen. Entweder ist die Geschlechtsinkongruenz ein Risikofaktor für eine Störung oder sie hat keinen Krankheitswert – dann kann sie aber auch keine von der Allgemeinheit zu tragenden medizinischen Maßnahmen begründen. Der Vergleich mit der Homosexualität greift nicht, denn letztere begründet als solche keine medizinische Intervention, im Gegensatz zur persistierenden Geschlechtsinkongruenz. Für Homosexualität gibt es folgerichtig keine Leitlinie. Formal bestünde dann sogar eher eine Analogie zur Unzufriedenheit mit der eigenen Nasenform, die ebenfalls im Regelfall nicht auf Kassenkosten plastisch korrigiert werden kann. Der Pelz soll gewaschen werden, aber das Fell soll dabei trocken bleiben.
Zusammen mit einigen anderen Eigentümlichkeiten, zu denen wir gleich kommen, ist das ein Indiz für eine ideologische Grundierung der Leitlinie. In wünschenswerter Klarheit wird der Gedanke von Annette Güldenring formuliert: es handele sich bei der Geschlechtsidentität bzw. ihrer Inkongruenz um „eine ingeniöse Gewissheit“ [1], woraus sich gewisse ethische Folgerungen ergeben würden. Was führt sie zu dieser Auffassung? Ihre Erfahrung, meint sie. Doch das ist noch keine Wissenschaft: andere könnten andere Erfahrungen haben. „Ich spreche nur die Wahrheit“, wird sie sagen, aber das behauptet alle Welt.
Bei epidemiologischen Daten zur TGD-Population wird empfohlen, die Begriffe „Inzidenz“ und „Prävalenz“ zu vermeiden, da sie sich auf Krankheiten [6] beziehen. Dadurch soll eine Pathologisierung gender-nonkonformer Personen vermieden werden (Adams et al., 2017; Bouman et al., 2017). Stattdessen wird in den Standards of Care empfohlen, die Begriffe „Anzahl“ und „Anteil“ zu verwenden (S. 5f.)
Die Termini „Inzidenz“ und „Prävalenz“ haben eine Definition. Die vorgeschlagenen Alternativen sind alltagssprachlich, weisen also keine scharf umrissene Bedeutung auf und können deshalb kein Ersatz sein. Prävalenz ist gleich Inzidenz mal Dauer, aber Anzahl ist nicht gleich Anteil mal Dauer. Es stellt sich heraus, dass der Verzicht auf den Krankheitsbegriff auch den Verzicht auf Präzision mit sich bringt – in diesem Fall ein offenbar erwünschtes Ergebnis. Schon der Begriff der „Inzidenz“, die Zahl der jährlich neu auftretenden Fälle, bedeutet einen Verrat an der metaphysischen Unwandelbarkeit der Geschlechtsunzufriedenheit. Wenn man nicht von Inzidenz spricht, dann kann man sich leichter damit abfinden, dass alle Untersuchungen eine Zunahme der Diagnosehäufigkeit zeigen … aber darf man eigentlich von Diagnose sprechen, wertes Leitlinienkollektiv?
Die in der jüngeren Literatur berichteten zunehmend höheren Fallzahlen bestätigen die Vermutung, dass die Anteile gender-nonkonformer und trans Personen in der Bevölkerung in früheren Studien unterschätzt wurden (Olyslager & Conway, 2008). (S. 9)
Zunehmende Fallzahlen allein können nicht eine frühere Unterdiagnostik bestätigen; wie sollte das gehen? Das ist nur eine von drei prinzipiell infrage kommenden Erklärungen: daneben wären auch eine heutige Überdiagnostik oder eine tatsächliche Zunahme in Betracht zu ziehen. Diese beiden Möglichkeiten werden nicht beleuchtet, obwohl sie auf der Hand liegen. Bachmann et al. (hier) dagegen sprechen das furchtbare Wort beiläufig aus: sie meinen, der Anstieg lasse (neben vielen anderen möglichen Ursachen) auch an „… soziale Ansteckung, Überdiagnostik“ denken.
Das „Zuweisungsgeschlecht“ oder auch das bei der Geburt „zugewiesene Geschlecht“ (engl. „sex assigned at birth“) bezieht sich entsprechend der Begrifflichkeit der ICD-11 auf den Status einer Person als männlich, weiblich oder intersexuell, basierend auf körperlichen Merkmalen – in der Regel aufgrund des Aussehens der äußeren Genitalien – zum Zeitpunkt nach der Geburt. (S. 20)
Wir finden es bedauerlich, Trivialitäten wiederholen zu müssen: Bei Geburt wird die Geschlechtszugehörigkeit nicht zugewiesen, sondern festgestellt. Der Begriff der „Zuweisung“ impliziert eine gewisse Wahlfreiheit, die auch unangemessen oder leichtfertig ausgeübt werden könnte. Eine solche Wahlfreiheit existiert jedoch nicht. In der Leitlinie fehlt eine Definition des biologischen Geschlechts, welches zu ignorieren absurd wäre. Der Umstand, dass diese Sprachregelung sich dennoch durchgesetzt hat, spricht nicht dafür, dass es sich bei dem gesamten Themenkomplex um ein ideologiefreies Terrain handelt.
Wie anhaltend ist die Unzufriedenheit mit dem eigenen Geschlecht
Kommen wir zu einem Kernpunkt, der Frage nach der zeitlichen Stabilität des individuellen Wunsches nach Geschlechtsumwandlung. Tab. 2 (S. 36) fasst die wenigen Kohortenuntersuchungen, die sich mit dieser Frage befassen, zusammen:
Wie leicht zu sehen ist, liegt der Anteil der Kinder, bei denen der Wunsch nach Geschlechtsumwandlung über die Beobachtungszeit anhält, insgesamt zwischen 12% und 37%. Der Leitlinienentwurf dagegen behauptet allen Ernstes:
Die in Tabelle 2 dargestellten Ergebnisse zeigen erwartungsgemäß, dass die jeweils ermittelten Persistenzraten […] erheblich variieren. Dies schränkt die Verallgemeinerbarkeit […] stark ein.
Das ist nicht der Fall. Wenn die Autoren davon sprechen, dass die „Persistenzraten für eine Geschlechtsdysphorie im Jugendalter zwischen 13% und 63%“ (S. 38) liegen würden, ist man verpflichtet, sich die letztere Zahl etwas genauer anzusehen. Es handelt sich hierbei um den Anteil unter Ausschluss der „Non-Responder“ (in einer einzelnen Untersuchung), d.h. derjenigen, die für die Nachuntersuchung nicht erreichbar gewesen sind. Auf ähnliche Weise wurde früher die Wunderkraft von Marienstatuen bei Kinderwunsch bewiesen. Gezählt wurden nur die eingetretenen Schwangerschaften, nicht die erflehten. Hat sich was mit „ingeniöser Gewissheit“.
Wenn tatsächlich die Persistenzraten in allen Untersuchungen deutlich unter 50% liegen, dann sind sehr wohl Schlüsse nicht nur nicht unmöglich, sondern geboten. Oder anders: die Gendermediziner sind in der Lage, aus einer reversiblen Dysphorie einen iatrogenen (d. h. vom Arzt verursachten) irreversiblen Körperschaden zu machen, und es gibt keinen Prognoseindikator, der sie davon abhalten kann („keine Mindestdauer und keine klaren Kriterien für eine Prognose der Persistenz für die Zukunft“, S. 137).
Verbrannte Erde
Frühere Forschungsergebnisse, z. B. über das Verhältnis von Homosexualität zu Wünschen nach Geschlechtsumwandlung, werden erledigt, indem auf den Einfluss des historischen Kontexts verwiesen wird (S. 31). Davon ist natürlich keine Forschung ausgenommen, auch die heutige nicht. Ähnlich heißt es bei der Erwähnung der Komorbiditäten (der begleitenden psychischen Störungen), sie dürften nicht als „Ko-Ätiologie“ (d. h. als mit der Geschlechtsdysphorie gemeinsam entstanden) gesehen werden, denn dann würde es sich um „primär theoriegeleitete Vorannahmen“ handeln (S. 61). Selbst bei allergrößter Gelassenheit wird man eingestehen müssen, dass auch die gegenteilige Ansicht eine primär theoriegeleitete Vorannahme ist. Jeder Leser darf sich selbst fragen, wie weit ihn diese Pauschalkritik trägt. Wir deuten eine Richtung an: gemeint ist vermutlich, dass die früheren Forscher die Erkenntnisse über Nichtbinarität usw. noch nicht verinnerlicht hatten. Auch hier hatte Güldenring Pionierarbeit geleistet. Die vorherigen Generationen von Fachvertretern waren „die Symptomträger einer tief sitzenden Angst vor dem Phänomen Transidentität/Transsexualität“, was sie „apodiktisch und diskrimierend gegenüber Trans*menschen handeln“ ließ. Sie hatten „verbrannte Erde“ hinterlassen [1].
Der opake Kern der Leitlinie, die „affirmative Grundhaltung“, kann hier nur gestreift werden, aber sie muss uns ein ausführliches Zitat wert sein.
Psycholog_innen verstehen die Geschlechtszugehörigkeit als nicht-binäres Konstrukt (S. 96).
„Es gilt, die trügerische Vorstellung von der Möglichkeit einer eindeutigen geschlechtlichen Zuordnung aufzugeben, die dem System einer hetero- und cis-normativen Zweigeschlechtlichkeit verpflichtet ist. Diese Vorstellung bildet die Lebenswirklichkeit der uns begegnenden Menschen und auch die Lebenswirklichkeit der Behandler_innen nicht ab“ (Dietrich, 2021, S. 64). Und weiter: „Nur wenn wir das Konzept eines ergebnisoffenen Vorgehens ernst nehmen und das Wandelbare der menschlichen Identität und auch des Geschlechtsidentitätserlebens als Therapeutinnen anerkennen, können wir schon zu Beginn der Begleitung verbal wie nonverbal signalisieren, dass all das, was die hilfesuchende Person empfindet, seinen Platz in der Therapie haben soll.“ (Dietrich, 2021, S. 65). (S. 97)
Ethischer Anspruch und logische Konsistenz stehen hier in einem unauflöslichen Spannungsverhältnis. Wenn wir „das Wandelbare der menschlichen Identität“ anerkennen, dann müssen wir selbstverständlich auch die Wandelbarkeit eines Wunsches nach Zugehörigkeit zum jeweils anderen Geschlecht – oder zu gar keinem – annehmen. Die normative Kraft des Faktischen, der biologischen Realität wird mit dieser Sprachregelung schlicht negiert. Nonbinarität findet im täglichen Leben nicht statt, oder wenn dann extrem selten. Nach der Entscheidung des Verfassungsgerichts 2017 hatten insgesamt „20 Personen beantragt, ihren Geschlechtseintrag auf „divers“ ändern zu lassen (Stand Mitte April [2019])“ (DIE ZEIT, 9. Mai 2019, S. 39). Die Auffassung von der Geschlechtszugehörigkeit als „nicht-binär“ und „Konstrukt“ geht auf die einflussreiche aber wissenschaftsfeindliche und gesellschaftspolitisch reaktionäre [2] Essayistik von Judith Butler zurück und sollte in einer medizinischen Leitlinie keinen Platz haben.
Diese bedingungslos akzeptierende Grundhaltung steht nicht im Widerspruch zur für professionell Helfende gleichsam bedeutsame Kenntnis einer großen Variationsbreite von Entwicklungsverläufen (S. 97)
Doch, sie steht in einem eklatanten Widerspruch zum variablen Outcome, wenn der/die noch selbstunsichere Jugendliche in der Praxis nicht ergebnisoffen, sondern auf die Transition als alleiniges Ziel hin beraten wird und der Therapeut/Berater, gestärkt von einem Katechismus, gefestigter in dieser Zielvorstellung als der Patient/Ratsuchende ist. Ist es denkbar oder möglich, dass ein Kind, dem der Sportunterricht lästig ist, unter Hinweis auf seine Besonderheit die Umkleidekabine meidet? Es scheint sich bei der bedingungslosen Affirmation um eine programmatische aber unrealistische Formel zu handeln, die eher einer Parteinahme in einem imaginierten Kampf als einer therapeutischen, professionellen Distanz entspricht. Was kann hier helfen? Beschwörung:
In den Guidelines for Psychological Practice with Transgender and Gender Nonconforming People (APA, 2015) sind hierzu folgende fachlichen Statements relevant: […] Psycholog_innen verstehen […] Psycholog_innen versuchen […] Psycholog_innen sind der Auffassung, […] Psycholog_innen sind der Ansicht […] (S. 98, 99)
Nach Stil und Inhalt handelt es sich hier um einen Moralkodex, ein Glaubensbekenntnis, aber nicht um eine wissenschaftliche Guideline. Ein Credo ist eine formelhafte Bekräftigung von Inhalten; es dient der Abwehr von Bedenken.
Roma locuta, causa finita est
Worauf stützen sich die Leitlinienautoren?
In Deutschland sind Therapieversuche bei Minderjährigen mit einer solchen „reparativen“ Intention (sog. Konversionsbehandlungen zur Veränderung der sexuellen Orientierung oder der geschlechtlichen Identität) seit 2020 zudem strafbar (Gesetz zum Schutz vor Konversionsbehandlungen, BGBl. I, S. 1285). Daher bedarf es hierzu keiner eigens konsensbasierten Empfehlung in dieser Leitlinie. (S. 98)
Roma locuta, causa finita est (Rom hat entschieden, die Sache ist erledigt). Diese Überlegung ist insofern folgerichtig, als sie auf den postulierten Nicht-Störungscharakter der Geschlechtsinkongruenz abhebt. Ihre externe Begründung ist jedoch fehlerhaft, soweit sie die Anziehung einer empirischen Grundlage durch die Berufung auf das Gesetz ersetzt. Es ist keineswegs ungewöhnlich, dass die Gesetzeslage inkonsistent ist (vgl. die Binnenanerkennung der besonderen Therapierichtungen oder die Verordnungsfähigkeit von Cannabis). Auch medizin-ethische Grundpositionen halten gelegentlich einer näheren Inspektion nicht stand. Und es wäre auch nicht das erste Mal, dass eine nach den Regeln der ärztlichen Kunst erstellte Leitlinie wissenschaftlich scheitert [3].
Die in der medizinischen Fachwelt geführten Kontroversen um somatomedizinische Interventionen bei Jugendlichen mit diagnostizierter Geschlechtsinkongruenz (GI) bzw. Geschlechtsdysphorie (GD) werden häufig vordergründig über Argumente zur unsicheren Evidenz für diese Altersgruppe ausgetragen, berühren dabei aber im Kern ethische und rechtliche Fragen (S. 238)
Auf diese Weise werden Fragen nach Evidenz unter Verweis auf ethische Fragen delegitimiert. Tatsächlich aber ist eine Ethik inakzeptabel, die ihre Postulate im Widerspruch zur Evidenz, zur systematisch geprüften Faktenlage, entwickelt.
Im Text der Leitlinie kommt der Wortstamm „ethi*“ insgesamt 140 mal vor; der Wortstamm „empir*“ 31 mal. Die Mehrzahl der Treffer bei letzterem steht in einem negativem Zusammenhang („kein empirischer Beleg“, „durch empirische Evidenz bisher nicht zu untermauern“ o. ä.). Ethik ersetzt die Empirie.
Insgesamt bleibt das Desiderat einer ideologiefreien Perspektive, die allein sachgerechtes Handeln ermöglicht. Die biologischen Tatsachen werden sich nicht nach den ethischen Regeln richten und sich nicht funktionell oder auch nur ästhetisch mit medizinischen Mitteln vollständig revidieren lassen. Es wird auch in Zukunft nicht möglich sein, mit einer Transidentität konfliktfrei und unauffällig zu leben. In manchen öffentlichkeitswirksamen Fällen scheint es sogar zweifelhaft, ob das überhaupt angestrebt wird. Die Transformation der Gesellschaft nach den Vorstellungen von Gender Studies und Critical Studies ist eine Illusion, weil die theoretischen und faktischen Grundlagen dieser Ideologien defizitär sind.
„Man kann nicht beides haben, Erkenntnis und Illusion. Oder besser: Man kann sie nicht widerspruchsfrei beide haben. Vielleicht lernt es die Menschheit noch, systematisch inkonsistent zu sein. Es werden ernsthafte Anstrengungen unternommen, genau dies zu erreichen.“ – Ernest Gellner, Descartes & Co. Von der Vernunft und ihren Feinden, 1995
↑: Güldenring, A.-K. (2013). Zur ,,Psychodiagnostik von Geschlechtsidentität“ im Rahmen des Transsexuellengesetzes. Zeitschrift für Sexualforschung, 26(02), 160-174. doi:10.1055/s-0033-1335618
↑: Sanbonmatsu J. (2015). „Postmodernism and the Corruption of the Critical Intelligentsia“, in: Smulewicz-Zucker/Thompson: Radical Intellectuals and the Subversion of Progressive Politics: The Betrayal of Politics, S. 47-54
↑: vgl. die AWMF-Leitlinie Hörsturz. Die komplette Diskussion in: Deutsches Ärzteblatt, Jg. 107, Heft 11, 19. März 2010 S. 195-197
Ein offener Brief von GWUP-Mitgliedern an eine Gemeinde im Württembergischen, die es für nötig hält, Schwurbel offen auf ihrer Homepage zu bewerben. Problematisch ist dies insbesondere deshalb, weil man das unter der Rubrik „Gesundheitsdienstleister“ macht und weil man sich als Kurort präsentiert. Die Gemeinde Bad Boll ist daneben noch die Heimat der anthroposophischen Wundermittelfirma Wala, die in mehrerlei Hinsicht problematisch ist.
Meist ist die Einsichtigkeit eher gering, was das Anerkennen von solchen Fehlleistungen angeht. Aber wenn man nichts sagt, wird man auch nichts bewirken können. Man hat zumindest darauf hingewiesen und regt zum Überdenken an. Daher unsere volle Unterstützung für den Brief, den wir hiermit auch virtuell unterschreiben.
Wir haben uns erlaubt, noch ein paar Links in unser Wiki zu setzen, damit klar wird, was man da eigentlich bewirbt.
Sehr geehrter Herr Bürgermeister,
Sehr geehrte Gemeinderatsmitglieder,
auf Ihrer Homepage der Gemeinde Bad Boll finden wir beim Aufruf unter der Rubrik „Gesundheitsdienstleister“ Betriebe und Heilversprecher mit absonderlichen, ans Mittelalter erinnernde und von Aberglauben und Unwissenheit strotzende Leistungen. Sie gewähren diesen Anbietern damit eine Stimme unter der Bezeichnung Gesundheitsdienstleister. Wir würden dies als Irreführung bezeichnen.
Entsprechende Anbieter werben mit der Abwehr von angeblichen gesundheitlichen Gefahren, die der Wissenschaft entweder unbekannt sind oder deren Existenz bei wissenschaftlichen Prüfungen nicht bestätigt werden konnten. Mit diesen vermeintlichen Gefahren werden unbegründete Ängste geschürt; diese Ängste aber können zu realen Schäden führen, die weit über die rein finanziellen Kosten der „Abwehrmaßnahmen“ hinausgehen, da sie das Vertrauen in Wissenschaft, Technik und Medizin unterminieren.
So finden sich in ihrer Rubrik „Gesundheitsdienstleister“, um nur einige wenige Beispiele zu nennen, u.a.
• ein Baubiologe, der Untersuchungen zu nicht bekannten Erdstrahlen durchführt [1] und der Wissenschaft unbekannte Bioresonanzmethoden mit Bergkristallen sowie holistische Energiearbeit nach Jesus Christus anbietet [2],
• eine Geistheilerin, die „Heilung auf geistiger Ebene durch Einwirken auf die äußere Schicht der Aura“ verspricht. Sogar Geistesoperationen hat sie im Programm [3]!
• Ein Heilpraktiker, der amerikanische Chiropraktik anbietet, die allgemein als unwissenschaftlich und sogar als gefährlich eingestuft wird [4],
• sowie eine weitere Heilpraktikerin, die astrologische Psychologie anbietet [5].
Die Vielzahl der unwissenschaftlichen Angebote, die auf hochgradig irrationalen und teils widerlegten Weltanschauungen beruhen und über Ihre Gemeindeseite abrufbar sind, ist schon erstaunlich und daher für die Öffentlichkeit erwähnenswert.
All diese Methoden, die einer auf wissenschaftlicher Evidenz basierenden Medizin widersprechen, bieten Sie unter ihrem Gemeindewappen eine Plattform im Internet an und erwecken damit den Eindruck, diese Angebote seien staatlich anerkannt und nachweislich wirksam. Durch die gemeinsame Auflistung setzen sie seriöse Mediziner auf die gleiche Stufe wie unbewiesenen Humbug. Auch unter dem Deckmantel einer „therapeutischen Offenheit“ sollte im Sinne des Verbraucherschutzes keinen Unsinn und erst recht keine Angstmacherei beworben werden.
Gerne erhalten Sie auf Anfrage weitere Informationen und Quellen zu diesen esoterischen Leistungen, sowie eine wissenschaftliche Einordnung.
Wir erbitten um ihre Stellungnahme zu diesem Abschnitt der Internetpräsenz der Gemeinde Bad Boll.
Mit freundlichen Grüßen,
Dr. Philippe Leick – Ina Bauer – Dipl.-Phys. Giuseppe Distratis – Henk de Lamper – Dr. med Tilman Schwilk
Die Unterzeichner sind Mitglieder der Regionalgruppe Stuttgart der GWUP e.V. (Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften), einem anerkannten gemeinnützigen Verein, der Wissenschaft und Aufklärung verpflichtet ist.
[2] Siehe verlinkte Homepage des Anbieters, http://www.aquareflect.de/holistische-energiearbeit/
[3] https://www.bad-boll.de/verzeichnis/visitenkarte.php?mandat=241955 bzw. die Seite der Anbieterin, https://www.geistiges-heilen-edelmann.de/was-ich-anbiete/geistheilung/
[4] https://www.bad-boll.de/verzeichnis/visitenkarte.php?mandat=241978 bzw. https://www.chiropraktik-koester.de/
[5] https://www.bad-boll.de/verzeichnis/visitenkarte.php?mandat=242018 bzw. https://www.margret-thomas.de/therapien/horoskop-träume/
Rede des britischen Außenministers David Lammy vor dem UN-Sicherheitsrat am 24. September 2024.
Aber, Herr Präsident, ich möchte auch direkt mit dem Kreml-Vertreter hier heute und mit Wladimir Putin sprechen.
Russland sitzt in diesem Rat, aber seine Handlungen verletzen die UN-Charta. Russland sitzt in diesem Rat. Aber am Wochenende haben wir gesehen, wie es Änderungen eingebracht hat, die die Zukunft der UN zerstören sollen. Russland behauptet, für den globalen Süden einzutreten, aber es missachtet das Völkerrecht. Wladimir Putin, wenn Sie Raketen auf ukrainische Krankenhäuser abfeuern, wissen wir, wer Sie sind. Wenn Sie Söldner in afrikanische Länder schicken, wissen wir, wer Sie sind. Wenn Sie Opponenten in europäischen Städten ermorden, wissen wir, wer Sie sind. Ihre Invasion dient Ihrem eigenen Interesse, nur Ihnen, um Ihren Mafia-Staat zu einem Mafia-Imperium auszubauen. Ein Imperium, das auf Korruption aufgebaut ist und das russische Volk ebenso wie die Ukraine beraubt. Ein Imperium, das auf der Unterdrückung abweichender, mutiger Gegner wie Nawalny aufgebaut ist. Ein Imperium, das auf Lügen aufgebaut ist und im In- und Ausland Desinformation verbreitet, um Unruhen zu stiften.
Herr Präsident, ich spreche nicht nur als Brite, als Londoner und als Außenminister, sondern ich sage dem russischen Vertreter an seinem Telefon, wenn ich spreche, dass ich hier auch als schwarzer Mann stehe, dessen Vorfahren in Ketten mit vorgehaltener Waffe aus Afrika verschleppt und versklavt wurden, dessen Vorfahren sich erhoben und in einer großen Rebellion der Versklavten kämpften. Imperialismus. Ich erkenne ihn, wenn ich ihn sehe, und ich werde ihn als das bezeichnen, was er ist. In dieser Woche, in der ich hier bin und mit anderen Partnern auf der ganzen Welt über unsere gemeinsame Zukunft und die Zukunft der UNO spreche.
Russland versucht, uns in eine Welt der Vergangenheit zurückzuversetzen, eine Welt des Imperialismus, eine Welt, in der Grenzen mit Gewalt neu gezogen werden. Eine Welt ohne die Charta der UNO. Das können wir nicht zulassen. Der Kampf der Ukraine geht uns alle etwas an. Das Vereinigte Königreich wird der treueste Unterstützer der Ukraine bleiben, denn, Herr Präsident, das ist der Einsatz. Wenn wir einen Imperialisten Grenzen mit Gewalt neu ziehen lassen, werden dies nicht die letzten Grenzen sein, die aufgehoben werden. Wenn wir einem Imperialisten erlauben, einem Land seinen Weg zu verwehren, wird die Ukraine nicht der letzte Staat sein, der unterworfen wird. Maduro wird sich ermutigt fühlen und sich als nächstes Guyana vornehmen. Lassen Sie mich also klar sein: Wir wollen Frieden in der Ukraine. Wir wollen ihn für das ukrainische Volk, wie Präsident Selenskyj gesagt hat. Es muss ein Frieden sein, der die Grundprinzipien respektiert, auf denen die Vereinten Nationen basieren, die Prinzipien der Souveränität und territorialen Integrität, wie sie in dieser UN-Charta, der Charta der Vereinten Nationen, verankert sind. Putins Russland will sie auflösen. Wir wollen sie aufrechterhalten und das werden wir tun. Wie Präsident Selenskyj sagte, wird die UN-Charta siegen. Slava Ukraini!