Vielleicht denkt ihr, liebe Leser, euch jetzt: „Ja, spinnen die jetzt völlig bei Psiram? Ist denen die ständige Beschäftigung mit Eso-Spinnern aufs Hirn geschlagen? Ein Bild von einem Kind, das eine Katze gemalt hat; was soll denn sowas mit Wissenschaft zu tun haben?“
Auf den ersten Blick hat es wirklich nicht viel miteinander zu tun. Und als ich vom berühmt-berüchtigten „Psiram-Kernteam“ den Auftrag erhielt, dazu etwas zu schreiben, dachte ich mir auch: „Hä? Was soll das denn jetzt?“
Bei genauerer Betrachtung gibt es jedoch deutliche Parallelen. Und damit meine ich nicht etwa die Tatsache, dass auch im Wissenschaftsbetrieb gelegentlich die eine oder andere Tafel mit (zumindest auf dem ersten Blick) kaum verständlichem Gekritzel gefüllt wird.
Wenn ein Kind aber ein Bild malt von den Dingen, die es in seiner Umwelt wahr nimmt (wie in diesem Fall die Katze), so erschafft es ein Modell eines Teils eben dieser Umwelt. Die Wissenschaft tut prinzipiell dasselbe: Sie schafft Modelle unserer Umwelt.
Und ebenso, wie das Bild der Katze stark vereinfacht und auch fehlerhaft ist, sind auch die wissenschaftlichen Modelle mehr oder weniger vereinfacht und keineswegs ein exaktes Abbild der Welt, die sie beschreiben. Das ist ja auch gar nicht der Sinn eines Modells, denn wäre es ein wirklich exaktes Abbild der Welt, wäre es mit dieser identisch und somit überflüssig. Vielmehr soll es innerhalb gewisser Grenzen die Welt für den jeweiligen Zweck hinreichend genau beschreiben und dabei einfach genug sein, um damit gut arbeiten zu können.
Will ich die Flugbahn eines aus dem Fenster geworfenen Balls berechnen, reicht es, wenn ich die Auswirkungen der Relativität vernachlässige und gemäß der Newton’schen Mechanik rechne. Natürlich könnte ich auch relativistisch rechnen, das würde jedoch die Genauigkeit nicht merklich erhöhen, die Rechnung aber um einiges komplizierter machen. Geht es jedoch um sehr schnelle Bewegungen, so muss ich relativistisch rechnen, die Newton’schen Mechanik würde falsche Ergebnisse liefern.
An diesem einfachen Beispiel erkennt man, dass Modelle nützlich sind, um einem innerhalb ihrer Grenzen mit möglichst geringem Aufwand brauchbare Ergebnisse zu liefern; außerhalb dieser Grenzen ist es jedoch unbrauchbar und man muss ein anderes Modell verwenden.
Der Sinn der Zeichnung ist es sicherlich, eine Katze darzustellen, und mit nicht allzu viel Phantasie ist die Katze auch als solche erkennbar. Wollte man jedoch zum Beispiel genauere anatomische Details der Katze betrachten, so wäre dieses Bild denkbar ungeeignet; doch dies war sicher auch nicht der Sinn, den die „Künstlerin“ bei ihrem Werk im Hinterkopf hatte. Seinen eigentlichen Zweck aber erfüllt es. Das kleine Mädchen scheint das ähnlich zu sehen und lehnt sich nach getaner Arbeit müde, aber sichtlich zufrieden zurück.
Und wo wir gerade beim müde Zurücklehnen sind: Die (reale) Katze liegt gemütlich auf dem Sofa, schläft und träumt von Mäusen, Quantenphysik oder wovon Katzen auch immer so träumen; ihr Abbild auf der Tafel hingegen steht und ist offensichtlich hellwach.
Und damit kommen wir zu einer weiteren interessanten Eigenschaft von Modellen: Sie sind nicht auf die gegenwärtige Realität beschränkt.
Ich kann die Flugbahn eines aus dem Fenster geworfenen Balls berechnen, ohne dabei tatsächlich einen Ball aus dem Fenster zu werfen. Die berechnete Flugbahn ist also eine mögliche, und falls ich den Ball irgendwann in der Zukunft tatsächlich werfen sollte, auch eine zukünftige Flugbahn, aber keine gegenwärtige.
Ebenso ist das Stehen zwar nicht der gegenwärtige Zustand der Katze, aber ohne Zweifel ein möglicher und, da die Katze sicherlich irgendwann wieder aufsteht (hoffe ich zumindest), auch ein zukünftiger.
Bei genauerer Betrachtung kann man also an dieser einfachen Kinderzeichnung durchaus einige Prinzipien der wissenschaftlichen Denkweise erkennen.
Möglicherweise kann man das Ganze sogar auf den Anfang der Wissenschaft allgemein übertragen: Als die Menschen erstmals begannen, Höhlenwände mit Jagdszenen und dergleichen zu bemalen, und auf diese Weise ihre Umwelt modellhaft abbildeten und verallgemeinerten (denn die Zeichnung des Mammuts an der Höhlenwand stellte beispielsweise sicherlich kein konkretes, wirklich existierendes Mammut dar) – taten sie da vielleicht den ersten Schritt auf dem Weg, der viel, viel später zur modernen Wissenschaft führte?
Aber das ist, fürchte ich, eine andere Geschichte.