Frau Ministerin Barbara Steffens (unsere Leser werden sich erinnern) hat sich am 06.03.2013 bei abgeordnetenwatch.de grundsätzlich zu den Fragen von Stephan Dörner geäußert:
- Begründet sich Ihre Überzeugung, dass Homöopathie politisch gefördert werden sollte, auf mehr als Anekdoten?
- Kennen Sie die Arbeit von Prof. Edzard Ernst und anderen, die sich wissenschaftlich mit der Homöopathie befasst haben?
- Setzen Sie sich für eine Reform ein, damit auch “alternativmedizinische” Präparate ihre über die Wirksamkeit eines Placebos hinausgehenden Wirkung in Doppelblindtests beweisen müssen?
Steffens geht auf die Fragen nicht direkt ein. Man sollte ihr das nicht übel nehmen; das gilt ja in der Politik durchaus nicht als schlechter Stil. Dennoch greifen wir das Gespräch noch einmal auf (die folgenden Zitate sind ihrer Antwort entnommen):
… weshalb ich für ein verstärktes, ideologiefreies Miteinander unter Vertreterinnen und Vertretern unterschiedlicher Heilmethoden werbe
Löblich, aber aussichtslos. Wie sollten sich Astronomie und Astrologie „ideologiefrei“ begegnen können?
Vielfalt in der Herangehensweise und im Zugang zu Patientinnen und Patienten kann nur hilfreich sein.
Die Widersprüchlichkeit dieses Satzes wird klarer, wenn man „Vielfalt“ durch den angemesseneren Begriff „Willkür“ ersetzt.
Ein “Entweder-oder” in Bezug auf konventionelle, integrative oder komplementäre Verfahren muss überwunden werden zugunsten eines “Sowohl-als-auch”.
Wenn man Fantasie in die Realität mischt, macht das die Fantasie nicht realer. Wenn man Kuhmist in den Kuchen rührt, macht das den Kuhmist nicht wohlschmeckender. Es macht den Kuchen schlechter. (Mark Crislip)
Die Behandlung von Patientinnen und Patienten erfordert immer die ganzheitliche Betrachtung der Person. Darauf sollten sich alle Beteiligten im Gesundheitssystem stärker fokussieren: Wenn Ursachen für Erkrankungen wieder mehr in den Blick rücken und die Symptombehebung nur als Teil eines Gesamtprozesses gesehen wird
Die Definition von „Ganzheitlichkeit“ ist: alles hängt mit allem zusammen. Die „Ursachen für Erkrankungen“ sind aus dem Blick gerückt – nur: bei wem? Bei der wissenschaftlichen Medizin oder bei den Akupunkteuren, Homöopathen und Bachblüten-Anwendern?
Natürlich müssen die Wirkungen und eventuellen Nebenwirkungen alternativer Verfahren ebenso erforscht und beachtet werden wie die Auswirkungen konventioneller Therapien.
Es ist reine Ressourcenverschwendung, die alternativen Verfahren, die bereits ausreichend geprüft oder die von vornherein absurd sind, wieder und wieder zu „erforschen“. Die Homöopathie ist für beides das Beispiel par excellence. (Die „alternativen“ Verfahren berufen sich übrigens häufig auf ein hohes Alter und sind somit viel konventioneller als wissenschaftlich geprüfte Verfahren).
So können sie [die alternativen Verfahren] etwa in der Krebstherapie dazu beitragen, die Lebensqualität der Erkrankten zu verbessern und eine belastende Chemo- oder Strahlentherapie besser durchzustehen.
Wo ist dafür der überzeugende Beleg? Die Landläufigkeit dieser Behauptung reicht als ein solcher nicht aus. Wie man sich das mit der Lebensqualität konkret ausmalen kann, hat David Weinberg unter dem Titel „Integrative Brandbekämpfung“ sehr schön beschrieben.
Grundsätzlich brauchen wir in der onkologischen Behandlung die Schulmedizin mit allen ihren Facetten, müssen uns aber darüber im Klaren sein, dass auch in diesem Bereich nur ein geringer Teil der Verfahren streng evidenzbasiert ist.
Wo es an harten Daten fehlt, müssen Entscheidungen nach biologischer Plausibilität, nach Ockhams Rasiermesser und nach dem Grundsatz primum nihil nocere (vor allem nicht schaden) fallen. Das bedeutet nicht, dass man in solchen Fällen einen Freibrief für Beliebigkeiten hat. Die Behauptung, die amerikanischen Leitlinien für Krebstherapie und kardiologische Erkrankungen stützten sich nur zu 6% bzw. 11% auf hochwertige Evidenzen, müssen wir leider unkommentiert lassen, weil keine Quelle angegeben ist.
57 Prozent der Bundesbürger haben laut einer Allensbach-Umfrage im Jahr 2009 selbst schon mindestens einmal bewusst homöopathische Mittel genommen
Das muss ein Wahlkämpfer natürlich beachten. Aus den im Netz kursierenden Kurzfassungen dieser Befragung wird weder der Auftraggeber noch der genaue Wortlaut der Fragen klar. Übrigens hielten 47% der Befragten Homöopathie für ein „Naturheilmittel“, aber nur 17% hatten von „Verdünnungsprinzip und/oder Ähnlichkeitsprinzip“ gehört. Die Homöopathie segelt also unter falscher Flagge.
Nach einer großen Versorgungsstudie (Beobachtungsstudie der Universitätsklinik Charité in Berlin über acht Jahre mit rund 4000 Patientinnen und Patienten…) gelingt allein durch homöopathische Therapie eine Reduktion der klinischen Symptome im Durchschnitt um etwa die Hälfte.
Bei wie vielen dieser Patienten wären die Beschwerden, statt unter Placebo, mit beruhigender Aufklärung oder ganz von allein zurückgegangen? Frau Steffens und Frau Witt wissen es nicht, aber wir haben guten Grund zu der Annahme: bei allen.
Ferner besteht die Möglichkeit, Therapieansätze differenziert auch mit anderen wissenschaftlichen Methoden [als denen der evidenzbasierten Medizin] zu betrachten.
Das ist der durchsichtige Versuch, die lästige Wissenschaft nicht zu ergänzen, sondern loszuwerden. In Wahrheit ist es nicht die zu geringe Aussagefähigkeit der randomisierten Studie, sondern ihre Überzeugungskraft, ihre Potenz zur Scheidung der Fiktion von der Wirklichkeit, wegen welcher sie angegriffen wird.
Und zu guter Letzt darf eines nicht fehlen:
Der einfache Satz “Wer heilt, hat recht”,
dem zuzustimmen ist. Wer heilt, dem sollte es doch ein Leichtes sein, seine Heilerfolge unter ähnlichen Bedingungen zu wiederholen, nach vorher festgelegten Kriterien zu bewerten und die Nachuntersuchungen jemandem zu überlassen, der nicht weiß, ob der Patient mit der bewussten Methode oder einer Vergleichsmethode behandelt worden ist.
Nun können wir den Part von Frau Ministerin übernehmen und uns die Fragen selbst beantworten: Nein, sie stützt sich auf nicht mehr als auf eine Vielzahl von Anekdoten; nein, sie nimmt die Arbeiten von Edzard Ernst und anderen Kritikern nicht zur Kenntnis; und nein, sie wird sich nicht für Doppelblindtests alternativmedizinischer Präparate einsetzen.